8. Mai 2020

Wie der zweite Weltkrieg in Schwalbach endete

Ein Franzose hisste die weiße Fahne

Rund um die alte Schule hatten Bomben schwere Schäden angerichtet. Foto: Archiv Lorenz

Heute vor 75 Jahren endete der zweite Weltkrieg. In Schwalbach war der Schrecken schon einige Wochen früher vorbei. Bereits am 29. März hing am Kirchturm von St. Pankratius eine weiße Fahne und amerikanische Soldaten rückten kampflos in das damalige Dorf ein.

 Knapp sechs Wochen vor dem eigentlichen Ende des zweiten Weltkrieges hatten die US-Streitkräfte Frankfurt und sein Umland erreicht. Am Vormittag des 29. März 1945 bewegten sich die amerikanischen Truppen von Höchst aus in den Vordertaunus. Der Kalender schrieb Gründonnerstag, Ostern stand vor der Tür. Kurz vor der Mittagszeit erreichte das US-Militär die Landgemeinde Schwalbach. Augenzeugen berichten: „Rechts und links der Schulstraße schritten in kurzen Abständen hintereinander amerikanische Soldaten mit Gewehren im Anschlag. In der Mitte fuhren große Jeeps mit Ladepritschen, „Waepons Carrier“ genannt. Als Zeichen der Kapitulation und dafür, dass sich keine Soldaten der deutschen Wehrmacht im Ort aufhielten, hingen in der Schulstraße und in der Taunusstraße vereinzelt weiße Fahnen.“
Nicht zu übersehen war aber die weiße Fahne am kleinen Kirchturm der katholischen Pfarrkirche St. Pankratius. Der Franzose Marcel Vasselin war auf den Turm hinaufgeklettert und hatte die weiße Fahne gehisst. Der damals 25-Jährige gehörte zu einer Gruppe von 20 Franzosen, die ihr Nachtquartier im Saal des Gasthauses „Zum Schwanen“ hatten. Als Kriegsgefangener war er 1941 nach Schwalbach gebracht worden, wo er im Futtermittelgeschäft von Valentin Müller zur Arbeit verpflichtet war. Er steuerte ein Pferdefuhrwerk und arbeitete täglich in der Landwirtschaft.
In seine Heimat konnte er zu Kriegszeiten nicht heimkehren. Er war zwar offiziell aus dem Mitkämpferstatus entlassen, jedoch zur Arbeitsleistung im Land festgehalten worden. Auf diese Weise umgingen die NS-Machthaber die Schutzbestimmungen der Genfer Konvention.
Marcel Vasselin machte jedoch aus seiner misslichen Situation noch das Beste. Anfänglich verständigte er sich mit den Schwalbachern mit Gesten. Er lernte mehr und mehr Deutsch und seine frohe und umgängliche Art gefiel den Ortsbewohnern. Mit seiner Aktion auf dem Kirchturm hat Marcel Vasselin sicher dazu beigetragen, dass Schwalbach vor weiteren Schäden verschont blieb. Die Luftangriffe 1944 und Anfang 1945 hatten etwa 30 Opfer in der Zivilbevölkerung gefordert und großen Sachschaden angerichtet.
Der Einmarsch der US-Streitkräfte erfolgte ohne Zwischenfall. „Wir waren sehr froh, dass es so kam“, sagte die frühere Landärztin Dr. Zieger Gespräch zu ihren Lebzeiten in einem Gepräch: „Man hatte uns zuvor noch aufgefordert vor den  Amerikanern in Richtung Wetterau zu fliehen. Die Schwalbacher aber blieben in ihrem Ort und warteten den Einmarsch der Amerikaner ab.
Schwalbach hatte in den Tagen nach Kriegsschluss neben Marcel Vasselin  noch einen anderen „Beschützer“, den US-Bürger James Elmer Spyglass mit dunkler Hautfarbe. Er hatte 1944 – nach den Bombennächten über Frankfurt und der Zerstörung seiner Wohnung in Frankfurt – Zuflucht in Schwalbach gefunden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass er im Gedächtnis der älteren Schwalbacher haften geblieben ist. Seine Hilfsbereitschaft war schier ohne Grenzen, die noch vor dem Einmarsch der US-Militärs begann, dann effizient als Fürsprecher bei der Besetzung der Amerikaner war und vielen über die folgenden Hungerjahre bis 1949 geholfen hat. James Elmer Spyglass hat viel Gutes für die Gemeinde getan. Die Gemeindevertretung verlieh ihm deshalb am 9. November 1954 das Ehrenbürgerrecht.
Der Franzose Marcel Vasselin besuchte noch in den 50er-Jahren Schwalbach. Vom Beruf Technischer Zeichner entdeckte in seiner Heimat sein Talent zur Malerei. Anfang der 80er-Jahre wollte er seine Bilder in Schwalbach ausstellen. Die Vorbereitungen dazu waren durch die Stadt getroffen. Dann traf die Todesnachricht von seiner Familie noch vor der Ausstellungseröffnung ein. Peter Lorenz

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