19. Januar 2023

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

Jón Kalman Stefánsson hat mit „Dein Fortsein ist Finsternis“ einen Roman gegen das Vergessen und Vergehen geschrieben. Hanjo Kestings Buch „Glanz und Qual“ ist das Resultat einer lebenslangen Beschäftigung mit Thomas Mann in Nähe und Distanz. Mit „Das Recht der Erde“ veröffentlicht Étienne Davodeau eine Comicreportage über Bodennutzung, Klimawandel und nuklearen Abfall.

 

„Dein Fortsein ist Finsternis“

Ein Mann erwacht in einer Kirche, irgendwo tief in den Westfjorden Islands, und erinnert sich an nichts. Doch die Frau, der er auf dem Friedhof begegnet, erkennt ihn wieder. Rúna berichtet von ihrer verstorbenen Mutter, und sie schickt ihn zu ihrer Schwester Sóley, mit der ihn eine brüchige Nähe zu verbinden scheint. Mithilfe ihrer und anderer Erzählungen setzt er sein Leben neu zusammen – bis sich nicht nur sein, sondern das Schicksal aller Menschen dieses einsamen Fjords vor uns erhebt. Ein raunendes, gewaltiges Meisterwerk, das die Kraft der Literatur feiert.

Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern Islands. Er arbeitete in der Fischindustrie, als Maurer und Polizist, bevor er sich in Mosfellsbær bei Reykjavík niederließ. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und in ganz Europa ausgezeichnet, u.a. mit dem isländischen Literaturpreis. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit „Himmel und Hölle“, zuletzt erschienen „Etwas von der Größe des Universums“ und „Ástas Geschichte“. 2018 war Jón Kalman Stefánsson für den alternativen Literaturnobelpreis nominiert.

Jón Kalman Stefánsson: „Dein Fortsein ist Finsternis“
Übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig
Piper, 2023. 544 Seiten, 25 Euro.

 

„Thomas Mann – Glanz und Qual“

Schon zu Lebzeiten war er ein Monument, der letzte Dichterfürst in der Nachfolge Goethes. Thomas Mann war ein Schriftsteller von feinster Empfindlichkeit, mit lauernden Abgründen, tief verwurzelt in deutscher Kultur. Den Katastrophen seiner Zeit hat er sich unerschrocken ausgesetzt, auch wenn es ein weiter Weg war von der „machtgeschützten Innerlichkeit“ des Kaiserreichs, die er verherrlichte, bis zum Kampf gegen Hitler und das nationalsozialistische Deutschland, den er unermüdlich führte. In fast sechs Jahrzehnten wuchs sein riesiges literarisches Werk, einzigartig nach Umfang und geistiger Spannweite. Seine Sprache besetzt alle Nischen und Winkel der benennbaren Welt, macht sie erzählerisch verfügbar in virtuoser Demonstration ihrer Allmacht. Und seine Ironie, nicht frei von Herablassung, lässt jederzeit die Präsenz des Erzählers spüren, der uns seinen Willen aufzwingt, indem er uns verführt und verzaubert.

Hanjo Kestings Buch ist das Resultat einer lebenslangen Beschäftigung mit Thomas Mann in Nähe und Distanz. In Werkanalysen und biographischen Annäherungen entsteht ein Gesamtbild des großen Schriftstellers, der seine Lebensbilanz im Tagebuch mit den Worten zog: „Es gab wohl selten ein solches Ineinander von Qual und Glanz.“

Hanjo Kesting, geb. 1943, Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte in Köln, Tübingen und Hamburg. 1973-2006 Leiter der Hauptredaktion Kulturelles Wort beim Norddeutschen Rundfunk. Seit 2006 arbeitet er als Redakteur der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte“. 2005 erhielt er den Kurt-Morawietz­-Literaturpreis der Stadt Hannover und 2007 die Ehrenpromotion der Universität Hamburg. Vorsitzender des Kuratoriums der Günter Grass-Medienstiftung. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, u. a. über Jean Améry (2014) oder Siegfried Lenz (2016) und auch über die Geschichte der Opernlibretti „Bis der reitende Bote des Königs erscheint. Über Oper und Literatur“ (2017). Seine mehrbändigen Anthologien „Grundschriften der europäischen Kultur“ (2012), „Große Romane der Weltliteratur“ (2015) und „Große Erzählungen der Weltliteratur“ (2019) haben durch die begleitenden Lesereihen ein breites Lese- und Hörpublikum gefunden.

Hanjo Kesting: „Thomas Mann – Glanz und Qual“
Wallstein, 2023. 400 Seiten, 28 Euro.

 

„Das Recht der Erde“

Étienne Davodeau ist einer der ganz großen Comicautoren unserer Zeit. In Frankreich bereits ein Bestseller, erzählt Davodeau in seinem neuen Buch von seiner Wanderung durch die Landschaft. Er trifft Bauern und Wissenschaftler und hinterfragt mit ihnen die Beziehung zu unserer Umwelt. Was werden wir denjenigen hinterlassen, die nach uns geboren werden?

Étienne Davodeau, geboren 1965, gründete nach seinem Studium der bildenden Künste ein Zeichnerstudio. Früh beginnt er, Comicreportagen zu veröffentlichen, oftmals auch zu sozialkritischen Themen. Für seine genauen Beobachtungen des ländlichen Lebens erhielt er viele Preise, darunter 2005 den Preis in Angoulême für das beste Szenario.

Étienne Davodeau: „Das Recht der Erde“
Übersetzt von Tanja Krämling
Carlsen Comics, 2023. 216 Seiten, 27 Euro.

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