26. Februar 2024

"Die Physiker" im Bürgerhaus

Zwischen Lustspiel und Tragödie

Kurzweilig präsentierte das Tournee-Theater „Thespiskarren“ das Dürrenmatt-Stück „Die Physiker“. Foto: La Rocca

Thespiskarren, so nannte man – nach dem griechischen Tragödiendichter Thepsis – die Wohnwagen wandernder Theatergruppen. Und Thespiskarren heißt auch das Tournee-Theater, das Dürrenmatts „Die Physiker“ am gestern Abend in Schwalbach aufführte.

Bereits an dem Einführungsvortrag zu einem der meistgespielten Theaterstücke in deutschen Schauspielhäusern war das Interesse so groß, dass um 18.45 Uhr im Raum 1 des Bürgerhauses alle Plätze belegt waren. Der kompakte Epilog eines Ensemblemitgliedes zu den Aufführungen, immer eine dreiviertel Stunde vor Vorstellungsbeginn, hat beim „Theater im Bürgerhaus“ schon Tradition, ist er doch ein zusätzlicher Service der Kulturkreis GmbH, der gerne angenommen wird. Gestern übernahm der Schauspieler Stephan Bürgi diesen Part.

Dabei konzentrierte sich der Landsmann Dürrenmatts, der später auf der Bühne den Einstein geben sollte, vor allem auf den historischen Zusammenhang Anfang der 60er-Jahre. Denn als die „Die Physiker“ entstand, war der Kalte Krieg durch Wettrüsten und Mauerbau noch ein bisschen frostiger geworden. Und ohne Physiker hätte der Rüstungswettlauf ohne atomare Bedrohung auskommen müssen – eine interessante Vorstellung. Aber es gab sie „Die Physiker“, und sie haben für das Ende des Zweiten Weltkrieges Atombomben nicht nur gebaut, sondern auch gezündet.

Kein Zweifel, die Wissenschaft hat ihre Unschuld längst verloren. Da ist es kein Wunder, dass mancher Physiker zu der verrückten Einsicht gelangt, dass er in einer Irrenanstalt vielleicht besser aufgehoben ist. Und die Frage, wie weit Forschung gehen darf, ist heute – nicht nur wegen KI – noch genauso aktuell wie 1962, als „Die Physiker“ in Zürich uraufgeführt wurde.

Vier Schauspielerinnen und fünf Schauspieler geben sich darin ein Stelldichein – als Patienten und deren Betreuerinnen in einem Schweizer Sanatorium für Geisteskranke. Ein Irrenhaus als Schauplatz bietet fantastische Möglichkeiten für komische Szenen und tiefgreifende Texte. „Suchen Sie sich aus, was Sie heute Abend sehen wollen“, forderte Einstein-Darsteller Stephan Bürgi daher sein Publikum in seiner Einleitung auf, „ein Lustspiel oder eine Tragödie…“ Alles geht in diesem modernen Klassiker, alles steckt drin, und das Lachen kann im Halse steckenbleiben. Dürrenmatt selbst, der Experte, entschied sich dafür, sein Stück als Komödie zu bezeichnen.

Großartig stellt Hellena Büttner die Irrenärztin Mathilde von Zahnd dar, die die von ihren Eltern geerbte Villa in eine psychiatrische Einrichtung verwandelt und sich selbst zu deren Chefin gemacht hat. Sie ist verantwortlich für drei verrückte Physiker, die – im wahrsten Sinne des Wortes – über Leichen zu gehen bereit sind, wenn es ihnen dadurch gelingt, ihr Werk und ihre Tarnung zu schützen.

Während die beiden Patienten Beutler, gespielt von André Vetters, und Ernesti, gespielt von Stephan Bürgi, sich für Isaac Newton und Albert Einstein halten oder zumindest so tun, als ob, ist der Dritte im Bunde, Johann Wilhelm Möbius, einfach nur ein genialer Physiker. Und der sorgt, wie es sich bei einem guten Theaterstück gehört, am Ende für eine gehörige Überraschung. Möbius wird von Peter Bause gespielt, der im wahren Leben übrigens der Ehemann seiner Kollegin Hellena Büttner ist.

Viele aus dem Publikum erinnerten sich, wie sie „Die Physiker“ in der Schule gelesen haben. Vielleicht ist ihnen dabei aufgefallen, dass Bause als Möbius doppelt so alt ist wie die Figur bei Dürrenmatt sein soll.

Als Krankenschwestern sind Katrin Schwingel und Tino Rottenstein mit von der Partie. Regula Steiner-Tomic spielt Möbius´ Ex-Frau, Christian A. Hoelzke den an Nikotin und Alkohol interessierten Kriminalinspektor Richard Voß und Uwe Sievers den Oberpfleger, der engagiert wird, weil die Betreuung der Physiker-Patienten für weibliche Pflegekräfte so gefährlich wurde wie für die Menschheit die Atombombe.

Den Pfleger hatte Stephan Bürgi direkt nach der Schauspielschule übrigens auch schon einmal gespielt, wie er in seiner Einführung erzählte. „Die Physiker“ werden halt ausgesprochen häufig gegeben.

Die Inszenierung von Regisseur Heribert Olschok hatte wenige Wochen vor dem Corona-Ausbruch Anfang 2020 Premiere, wurde gut zwei Jahre später wieder aufgenommen, tourt nun schon zum vierten Mal und ist von ihren Gastspielorten mit einem Preis ausgezeichnet worden. Schön, dass es der Kulturkreis GmbH gelungen ist, dieses großartige Stück in einer so kurzweiligen Inszenierung für Schwalbach zu ergattern. cl

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