Der schlechte Zustand des „Bunten Riesen“ hat jetzt ein erstes Todesopfer gefordert. Weil der Aufzug wieder einmal defekt war, musste ein 77-Jähriger zu Fuß die mehr als 200 Treppenstufen bis zu seiner Wohnung im 13. Stock klettern und erlitt kurz darauf einen Herzinfarkt. Und auch die Rettungskräfte hatte Mühe, den Einsatzort zu erreichen.
Dieter Krusche galt eigentlich als fit und rüstig. So ärgerte er sich am vergangenen Donnerstag gegen 17 Uhr nur kurz, dass der Aufzug in dem Hochhaus wie so oft nicht funktionierte und stieg zusammen mit seiner Nachbarin Anna Balharek die 26 Treppen mit je acht Stufen nach oben. Kurze Zeit später klagte er über Unwohlsein, ehe es kurz vor sechs Uhr zum Herzstillstand kam.
Krusches Ehefrau Rüçhan verständigte sofort die Nachbarin, die umgehend erste Hilfe leistete und gemeinsam mit ihrer Mutter mit einer Herzdruckmassage begann und fast eine halbe Stunde lang um das Leben ihres Nachbarn kämpfen musste. Denn es dauerte zwar keine zehn Minuten, bis Notarzt und Sanitäter am Haus waren. Doch die Rettungszufahrt war zugeparkt. Außerdem war ja der Aufzug defekt, so dass die Retter ihre umfangreiche Ausrüstung durch das Treppenhaus nach oben schleppen mussten. Weitere 15 Minuten vergingen, bis sie endlich beim Patienten waren.
Die Schwalbacher Feuerwehr rückte zwischenzeitlich zur Unterstützung mit der Drehleiter an, denn der Patient in Lebensgefahr musste nun ohne Aufzug nach unten transportiert werden. Nachdem der Notarzt den 77-Jährigen soweit stabilisiert hatte, dass er transportfähig war, trugen ihn die Feuerwehrleute die 13 Stockwerke ohne Drehleiter nach unten, so dass der Arzt die Vitalfunktionen jederzeit überwachen konnte. Unten angekommen mussten sich die Einsatzkräfte dann auch noch mit einem Gaffer herumärgern, der die ganze Szene unbedingt mit dem Handy filmen musste.
„Die Rettungskräfte haben einen ganz tollen Job gemacht“, sagt Anna Balharek. Doch leider war es vergebens. Kurz vor Mitternacht verstarb Dieter Krusche im Bad Sodener Krankenhaus.
Nach dem ersten Schock sind seine hinterbliebene Frau und die Nachbarn nun vor allem empört über die Wohnungsbaugesellschaft „Vonovia“, der der „Bunte Riese“ gehört. „Gerade Dieter hat sich über viele Jahre immer wieder über die schlimmen Zustände hier im Haus beschwert. Aber nichts ist passiert“, sagt Anna Balharek.
In der Tat macht Schwalbachs höchstes Wohnhaus einen äußerst ungepflegten Eindruck. In der Passage vor den Hauseingängen lungern finstere Typen herum und es riecht nach Haschisch, die Aufzüge fallen regelmäßig aus, in den Treppenhäusern stinkt es nach Müll und Urin. Die Müllräume sind eklig, Ratten laufen herum und an der Ecke zur Avrilléstraße türmt sich regelmäßig der Sperrmüll. „Als wir vor 43 Jahren eingezogen sind, war das ein sehr anständiges und modernes Haus“, erinnert sich Rüçhan Krusche. „Heute frage ich mich, wo wir da eigentlich wohnen.“
Auch in der Sprechstunde von Bürgermeisterin Christiane Augsburger war sie schon mit ihrem Mann und hatte auf die schlimmen Zustände hingewiesen. Doch Christiane Augsburger verwies stets auf die Vermietergesellschaft. Die Stadt könne da nichts machen.
Der Aufzug ist auch fast eine Woche nach dem Vorfall noch außer Betrieb. Er soll laut einem Anschlag am Hauseingang am Freitag wieder funktionieren. Wer „gesundheitliche Probleme“ hat, kann eine Handynummer anrufen. Ein Wort des Bedauerns gab es von „Vonovia“ zum Tod ihres langjährigen Mieters bisher nicht. MS