12. Januar 2018

Leserbrief

„Integration heißt nicht Ununterscheidbarkeit“

Zum Leserbrief „Was heißt gelebte Integration?“ in der Ausgabe vom 10. Januar erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief von Thomas Royen. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.

„Sehr geehrte Frau Kessler, es ist immer gut zu hören, wie etwas auf andere Leser wirkt. Ich möchte aber doch einige Bemerkungen zu Ihrem Schreiben machen. Sie sagen selbst, dass Ihnen Herr El Kaddouri nicht persönlich bekannt ist und das relativiert Ihre weiteren Befürchtungen doch ein wenig. Sie fragen, ob er deutsche Freunde hat. Ja, er hat mehrere, und er gehört zu den ganz wenigen Menschen, denen ich bedingungslos vertrauen würde und das, obwohl ich sehr deutsch bin. Meine Urgroßmutter kannte noch ihre alte Großtante Antonia Brentano in Frankfurt, die mit Goethe und Beethoven befreundet war, und ich fühle mich in der alten deutschen Kultur tief beheimatet.
Sie fragen, wieviel er von deutscher Literatur, Philosophie und Musik kennt. Ich fürchte, dass Sie da bei entsprechenden Fragen nach Lessing, Kant oder Bach bei recht vielen unserer deutschen Mitbürger auf große Unwissenheit stoßen würden. Ich verstehe auch gar nicht die beständige Sorge, dass wir uns an den Islam anzupassen hätten. Davon kann doch gar keine Rede sein und nur kulturell selbst sehr unsichere Menschen ohne ein festes kulturelles Fundament können solche Ängste haben.
Keiner der mir bekannten Muslime würde so etwas erwarten und die zweifellos vorhandenen Probleme mit dumpfem Fundamentalismus sehen auch diese vor allem durch mangelnde Bildung bedingt. Sie fragen, ob Kaddouris nicht zum Beispiel Mitglied in einem Tanzsportclub werden könnten um ihr wirkliches Angekommensein in Deutschland zu verdeutlichen. Selbst Mitglied eines Tanzsportclubs wäre mir die Idee zu dieser Frage allerdings nie gekommen. Muss Integration denn totale Ununterscheidbarkeit bedeuten? Es gibt doch auch unter Deutschen riesige Unterschiede, die wir aushalten müssen. Zum Beispiel finden nicht alle Deutschen die sehr weitgehende sexuelle Freizügigkeit bei uns gut oder gar die Verbreitung von Pornografie. Hier würden Sie wahrscheinlich doch nicht sagen, dass diese Deutschen in einer Parallelwelt leben (von radikalen Sekten abgesehen).
Für mich ist viel wichtiger, dass Menschen, denen die Tiefendimension ihrer Religion für ihr alltägliches Handeln wichtig ist, dies auch bei Angehörigen anderer Religionen deutlich spüren und die daher Respekt und eine geschwisterliche Nähe zueinander fühlen. Diese Tiefendimension ist das glatte Gegenteil von religiösem Fundamentalismus, Fanatismus und religiös verbrämter Ideologie. Vielleicht haben Sie ja einmal Gelegenheit, die Familie Kaddouri kennenzulernen.“

Thomas Royen, Schwalbach

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