Am gestrigen 1. Juli jährte sich der Todestag des Generalstaatsanwalts während der Frankfurter Auschwitz Prozesse ab 1963, Fritz Bauer, zum 50. Mal. Angesichts dieses Jahrestages war es Bürgermeisterin Christiane Augsburger, selbst ehemalige Justizangestellte, und dem Jugendbildungswerk Schwalbach ein Anliegen, den Zeitzeugen Gerhard Wiese mit Schülern der Oberstufe der Albert-Einstein-Schule (AES) ins Gespräch kommen zu lassen.
Gerhard Wiese war als einer von drei damals jungen Staatsanwälten von Fritz Bauer mit dem Verfassen der Anklageschrift betraut worden und war im Prozess Mitglied der Anklagevertretung. Die Verfahrensunterlagen und Tonbandaufnahmen des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses wurden im vergangenen Herbst in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen.
Der Vormittag begann mit einer kurzen thematischen Einführung durch Gottfried Kößler, stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts. Im Anschluss wurde der Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“, der die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse thematisiert und in dessen Drehbuch auch die Erinnerungen Gerhard Wieses eingegangen waren, gezeigt. Etwa 100 Schüler aus sechs Oberstufenkursen der AES waren gekommen, um einen der letzten lebenden unmittelbar beteiligten Zeitzeugen zu erleben.
Außerdem saß auf dem Podium Werner Renz, ehemaliger Mitarbeiter des Fritz-Bauer-Instituts, der sich wie kaum ein anderer mit der Geschichte des Frankfurter Auschwitzprozesses beschäftigt hat. Die Moderation übernahm Achim Lürtzener vom Jugendbildungswerk Schwalbach.
Die Schüler waren in ihrem Wissensdurst kaum zu bremsen und nahmen die Gelegenheit zum Austausch gerne und vielfach wahr. Ob es denn Reue seitens der Angeklagten gegeben habe, wollte ein Schüler wissen. „Nein, lediglich Bedauern allgemeiner Art, aber kein individuelles Schuldeingeständnis“, meinte Gerhard Wiese.
Wie denn der Prozess in der Bevölkerung aufgenommen worden sei? Gerhard Wiese zufolge war dem Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Anfang der 60er-Jahre mehr oder weniger egal. Heutzutage sei das Interesse deutlich stärker als damals. Werner Renz ergänzte, es habe immerhin einige Lehrkräfte gegeben, die als Beobachter zu den jeweiligen Prozesstagen mit ihren Schulklassen erschienen seien.
„Was war eigentlich ihr Ziel seinerzeit und haben Sie dieses erreicht?“, fragte ein weiterer Schüler. „Es ging uns darum, die Verbrechen des Dritten Reiches aufzuklären und darum, dass sich die gesamte Bevölkerung mit der deutschen Vergangenheit auseinander setzen sollte“, erklärte Gerhard Wiese.
Werner Renz wusste, dass Auschwitz lange Zeit „einfach ein blinder Fleck im Bewusstsein der Deutschen“ war. Es habe beispielsweise über viele Jahre überhaupt keine Literatur über die Vernichtungslager in deutscher Sprache gegeben.
„Wie haben Sie selbst auf die Zeugenberichte reagiert, als Sie erstmalig damit konfrontiert wurden“, lautete eine andere Frage. Gerhard Wiese antwortete: „Direkt nach dem Krieg hielt ich die Berichte von den befreiten KZs selbst noch für sowjetische Propaganda und wollte sie nicht für wahr halten. Dann aber haben mich die Dinge teilweise auch sehr berührt. Man muss aber als Mensch lernen, mit den Berichten von Gräueltaten umzugehen, und bei mir trat nach und nach eine Art „Gewöhnungseffekt“ ein, der dafür sorgte, dass ich mit den Dingen besser umgehen konnte und den eigenen Alltag auch angesichts aller Schandtaten weiter bewältigen konnte.
Zum Schluss war es Gerhard Wiese wichtig, die Intention seiner Vorträge vor Schülern klar zu machen: „Wir alle haben als Nachgeborene eine Mitverantwortung bezüglich der Frage: Wie gehen wir mit unserer Geschichte um?“ Als Schlusspunkt der Veranstaltung setzte Achim Lürtzener passenderweise ein Zitat Fritz Bauers: „Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber wir können dazu beitragen, dass die Erde nicht zur Hölle wird.“ red