6. Dezember 2018

Über Kindertransporte aus Frankfurt berichtete auch eine Schwalbacherin

„Rettet wenigstens die Kinder“

Referentin Angelika Rieber (rechts) erzählte in ihrem Vortrag „Rettet wenigstens die Kinder“ auch die Geschichte der Schwalbacherin Agathe Jaenicke. Foto: Pabst

Zu dem letzten Vortrag der Veranstaltungsreihe „80 Jahre Novemberpogrome“ begrüßte Pfarrer Willi Schelwies Ende November neben der Referentin Angelika Rieber auch die Schwalbacherin Agathe Jaenicke, eine geborene Calvelli-Adorno, deren beide ältere Geschwister mit dem Kindertransport 1939 nach England gebracht wurden, in der evangelischen Limesgemeinde.

Angelika Rieber, Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (CJZ) Hochtaunuskreis und im Verein „Jüdisches Leben in Frankfurt“ engagiert, forscht seit Jahren zu den Lebensgeschichten der Kinder, die mit den Kindertransporten gerettet werden konnten. Rund 20.000 Kinder bis zum Alter von 18 Jahren konnten zwischen 1938 und 1940 ausreisen, insbesondere nach Großbritannien, Israel und den USA. 20 Frankfurter Schicksale hat Angelika Rieber mit ihren Vereinsmitgliedern aufgezeichnet, sie in den USA und in Israel aufgesucht, Gespräche geführt und Material gesammelt.
Daraus ist ein eindrucksvolles Buch mit vielen Fotos und Dokumenten entstanden. Einige hat sie an diesem Abend vorgestellt und deutlich gemacht, dass die Kinder zwar gerettet wurden, sie aber auch einen hohen Preis dafür zahlen mussten. Über Jahre von den Eltern und Geschwistern getrennt, in Ungewissheit über ihre Situation in dem Nazi-Deutschland, dass die Juden in die Vernichtung trieb. Traumatische und befreiende Erlebnisse ziehen sich durch alle Lebensschicksale. Und auch nach Beendigung des Krieges gestaltete sich die Situation nicht einfach. Oft hin- und hergerissen zwischen den leiblichen Eltern und den neu gewonnenen Pflegeeltern, war es keine einfache Rückkehr zur „Normalität“. Und nicht immer fanden sie ihre Angehörigen am Leben. Zum Teil waren sie in den Konzentrationslagern ermordet worden.
Für Agathe Calvelli-Adorno gab es nach neun Jahren ein freudiges Wiedersehen mit ihren geretteten Geschwistern. Mit Mut und Glück überstanden die Eltern mit Agathe die Kriegszeit. Von 1933, als der Vater seine Stelle als Landgerichtsrat verloren hatte bis zum Ende des Krieges waren es Jahre der Angst, der Ungewissheit, der Bedrohungen. Noch im Februar 1945 wurde die Großmutter ins KZ Theresienstadt verschleppt. Im Juli 1945 kehrte sie krank und völlig abgemagert zurück und starb wenige Monate später an den Folgen der Strapazen.
Anfang der fünfziger Jahre lebte die Familie Calvelli-Adorno wieder nahe beieinander; die Eltern in Frankfurt, die älteren Geschwister in Oberursel und Agathe in Schwalbach. So positiv verliefen nicht alle Lebenswege, die Angelika Rieber dokumentiert hat.
Das Buch, ein Geschichts- und ein Geschichtenbuch, sollte in keiner Bibliothek fehlen. Es ist auch ein aktuelles Buch, angesichts der heutigen Situation von Geflüchteten und deren Hoffnung auf Hilfe, auf ein Stückchen Sicherheit und ein neues Leben fern der Heimat.
Das Buch „Rettet wenigstens die Kinder – Kindertransporte aus Frankfurt am Main – Lebenswege von geretteten Kindern“ ist im Fachhochschulverlag Frankfurt erschienen und kann im Buchhandel bezogen werden. red

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