Die Stadt Schwalbach hat 19 Millionen Euro bei der insolventen „Greensill Bank“ angelegt und muss befürchten, dass das Geld verloren ist. Verantwortlich für die Geldanlage ist Bürgermeister und Kämmerer Alexander Immisch (SPD). Am Montag hat er sich den Fragen von Mathias Schlosser, dem Herausgeber der Schwalbacher Zeitung, gestellt.
Herr Immisch, werden Sie zurücktreten, falls die Stadt Schwalbach Ende des Jahres tatsächlich die ersten 13 Millionen Euro abschreiben muss?
Alexander Immisch: Kurze Antwort – nein.
Wann, wenn nicht beim Verlust von insgesamt 19 Millionen Euro sollte der Bürgermeister einer Kleinstadt denn zurücktreten? Es handelt sich hier immerhin um den wohl schwerwiegendsten Fehler in der Geschichte der Stadt Schwalbach.
Alexander Immisch: Wir haben hier eine Verkettung von unglücklichen Umständen, da gebe ich Ihnen Recht. Ich bedauere das sehr. Ich persönlich möchte an der Aufarbeitung weiterhin teilnehmen und möchte dafür kämpfen, dieses Geld größtmöglich wieder zurück zu bekommen. Die Feststellung, was wirklich verloren ist, steht erst ganz am Ende des Insolvenzverfahrens.
Was heißt denn dann, dass Sie die Verantwortung übernehmen, wenn Sie nicht zurücktreten wollen?
Alexander Immisch: Ich muss mir ankreiden lassen, dass in diesem Fall einige Prozesse in der Verwaltung in verschiedenen Punkten versagt haben. Aber genau das werden wir jetzt aufarbeiten und abstellen.
In der Finanzwelt sind die Zinsen der wichtigste Indikator für das Risiko einer Geldanlage. Ist es da nicht logisch, dass die Geldanlage bei einer Bank, die in Zeiten von Negativzinsen Renditen verspricht, mit einem Risiko verbunden sein muss?
Alexander Immisch: Es gibt im Moment noch einige Banken, die auf Festgelder minimale Zinsen anbieten. Der positive Zinssatz als solches war für uns kein Alarmsignal. Wir haben auf die Bewertung der Bank geschaut und die war nach Einschätzung der Rating-Agenturen in Ordnung.
Die Greensill Bank hatte ein Rating von „BBB+“. Das Rating „BBB+“ bedeutet per Definition, dass bei einer Verschlechterung der Gesamtwirtschaft mit Problemen bei der entsprechenden Geldanlage gerechnet werden muss. Warum haben Sie trotz der Corona-Krise im Sommer 2020 bei dieser Bank Geld angelegt?
Alexander Immisch: Als wir im vergangenen Sommer zum ersten Mal bei der „Greensill Bank“ investiert haben, hatte die Bank ein Rating von A-. Und außerdem heißt es im ersten Teil der Definition auch: „Anlagen mit diesen Ratings besitzen mittlere bis hohe Bonität.“ Sprich: Anlagen mit diesen Ratings gelten als sicher.
Warum haben Sie aber so viel Geld bei einer einzigen Bank angelegt? 19 Millionen Euro entsprechen ungefähr der Hälfte der Schwalbacher Rücklagen.
Alexander Immisch: Na ja, insgesamt mussten wir unsere gesamten flüssigen Mittel in Höhe von 103 Millionen Euro anlegen und da sind die 19 Millionen Euro nicht einmal ein Fünftel. Das ist insgesamt zu sehen. Ich muss Ihnen aber Recht geben, dass auch 20 Prozent bei einer Bank sicher viel sind, aber das hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt. Der Anteil schwankte ja immer und zwischendurch gab es ja auch wieder Geld zurück. Wir hatten jedenfalls sicher nicht vor, hier auf volles Risiko zu gehen.
Wie lief es denn bisher grundsätzlich ab, wenn die Stadt Schwalbach drei oder fünf Millionen Euro in Festgeldern anlegen wollte?
Alexander Immisch: Wir arbeiten mit fünf Anlagevermittlern von verschiedenen Geldhäusern zusammen, die uns in regelmäßigen Abständen immer wieder über die aktuellen Konditionen und Angebote auf dem Laufenden halten. Wenn wir dann Geld anlegen mussten, prüfte die Finanzverwaltung die Angebote und legte sie mir zur Entscheidung vor. Das wird jetzt so nicht mehr geschehen. Künftig muss der Magistrat über alle Geldanlagen entscheiden.
Hat die Stadt für die Beratung bezahlt?
Alexander Immisch: Nein.
Das heißt, die Anlagevermittler haben ihre Provision von der „Greensill Bank“ bekommen.
Alexander Immisch: Ich gehe davon aus.
Dann waren es aber keine Berater, sondern Verkäufer.
Alexander Immisch: Die Stadt hat jahrelang mit Anlagevermittlern vertrauensvoll zusammengearbeitet. Wir haben damit gut Erfahrungen gemacht. Bis zur Greensill-Pleite haben wir uns von den Anlagevermittlern immer gut beraten gefühlt.
Unabhängig davon galt im vergangenen Sommer ein Magistratsbeschluss vom Februar 2019, nach dem Geld nur bei Sparkassen, Genossenschaftsbanken und der Bundesbank hätte angelegt werden dürfen. Warum haben Sie gegen diesen Beschluss verstoßen?
Alexander Immisch: Mir war der Magistratsbeschluss zum Zeitpunkt der Geldanlage nicht bekannt.
Warum kennt der Bürgermeister Beschlüsse des Magistrats nicht?
Alexander Immisch: Weil ich seinerzeit erst wenige Tage im Amt war und zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Beschlüsse durchgelesen haben konnte. Ich habe mich bei den Geldanlagen im vergangenen Sommer an die Hinweise des Innenministeriums gehalten.
Aber die Leute in der Stadtkasse hätten doch wissen müssen, dass es da einen Magistratsbeschluss gibt.
Alexander Immisch: Ja. Das klären wir aber noch auf. Und da reden wir unter Umständen auch über disziplinarrechtliche Konsequenzen. Aber dazu müssen wir den Vorgang erst einmal final klären.
Ab Dezember 2020 galten dann ja die Anlagerichtlinien. Danach hätte die Stadt sogar Anlagen mit einem Rating von BBB- kaufen und bis zu 40 Millionen Euro bei einer einzigen Bank anlegen dürfen. Wer hat sich denn so etwas ausgedacht?
Alexander Immisch: Im Großen und Ganzen ist das auf Basis der Musteranlagerichtlinien des Hessischen Städtetags entstanden. Wir werden das aber jetzt auf jeden Fall noch einmal ändern und den Stadtverordneten vorlegen. Das betrifft insbesondere die Risikostreuung.
Warum hat das Stadtparlament eigentlich nicht über die bisherigen Anlagerichtlinien beraten und entschieden?
Alexander Immisch: Ich habe das als interne Anweisung angesehen. Aber tatsächlich war es ein Versäumnis, dass die Anlagerichtlinien nicht der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt worden sind. Das Unglück wäre dadurch leider auch nicht verhindert worden, weil die Stadtverordneten frühestens Anfang dieses Jahres begonnen hätten darüber zu beraten.
Gibt es aktuell noch weitere Geldanlagen bei Instituten, die nicht Sparkassen, Genossenschaftsbanken oder die Bundesbank sind?
Alexander Immisch: Ja, es gibt derzeit noch zwei Festgelder in einer Höhe von rund 15 Millionen Euro.
Wie geht es denn jetzt weiter?
Alexander Immisch: Wir haben uns als Stadt den anderen betroffenen Kommunen angeschlossen. Wir sind dabei, zivil- und strafrechtliche Maßnahmen prüfen zu lassen, zum Beispiel bei der „Greensill Bank“, bei Rating-Agenturen, bei den Wirtschaftsprüfern oder bei den Anlagevermittlern. All das soll in einem Gutachten dargelegt werden.
Was schätzen Sie persönlich, wie viel Geld die Stadt Schwalbach am Ende zurückbekommen wird?
Alexander Immisch: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das Insolvenzverfahren hat ja gerade erst begonnen. Unsere Anwälte haben uns aber gesagt, dass wir ruhig bleiben sollen, da bei Bankeninsolvenzen meistens ein großer Teil des Geldes zurückkommt. Das war zum Beispiel bei der Lehman-Brothers-Pleite auch so. Meine Hoffnung liegt natürlich bei 100 Prozent.
Vielen Dank für das Gespräch.