14. Oktober 2021

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

Dilek Güngörs „Vater und ich“ ist ein Roman über eine Vater-Tochter-Beziehung, die sicher viele von uns kennen. Der neue Roman „Harlem Shuffle“ des zweifachen Pulitzerpreisträgers Colson Whitehead erzählt die Geschichte eines einfachen Mannes im Harlem der 1960er Jahre, der so ehrlich wie möglich versucht aufzusteigen. „Blaue Frau“ von Antje Rávik Strubel erzählt von den ungleichen Voraussetzungen der Liebe, den Abgründen Europas und davon, wie wir das Ungeheuerliche zur Normalität machen.

 

„Vater und ich“

Als Ipek für ein verlängertes Wochenende ihren Vater besucht, weiß sie, dass er auf dem Bahnhofsplatz im Auto auf sie warten und sie nicht am Zug empfangen wird. Im Elternhaus angekommen sitzt sie in ihrem früheren Kinderzimmer, hört ihn im Garten, im Haus, beim Teekochen. Die Nähe, die Kind und Vater verbunden hat, ist ihnen mit jedem Jahr ein wenig mehr abhanden gekommen, und mit der Nähe die gemeinsame Sprache. Ipek ist Journalistin, sie hat das Fragen stellen gelernt, aber gegenüber dem Schweigen zwischen ihr und dem Vater ist sie ohnmächtig.

Dilek Güngör beschreibt die Annäherung einer Tochter an ihren Vater, der als sogenannter Gastarbeiter in den 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Sie erzählt von dem Versuch, die Sprachlosigkeit mit Gesten und Handgriffen in der Küche, mit stummem Beieinandersitzen zu überwinden. Ein humorvoller wie rührender Roman über eine Vater-Tochter-Beziehung, mit der sich viele werden identifizieren können.

Dilek Güngör, geboren 1972 in Schwäbisch Gmünd, ist Journalistin und Schriftstellerin. Ihre gesammelten Zeitungskolumnen erschienen in den Bänden „Unter uns“ und „Ganz schön deutsch“. 2007 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter“. 2019 erschien ihr zweiter Roman „Ich bin Özlem“ im Verbrecher Verlag. Die Autorin lebt und schreibt in Berlin.

Dilek Güngör: „Vater und ich“
Verbrecher Verlag, 2021. 104 Seiten, 19 Euro.

 

„Harlem Shuffle“

Eigentlich würde Ray Carney am liebsten ohne Betrügereien auskommen, doch die Einkünfte aus seinem Laden reichen nicht aus für den Standard, den die Schwiegereltern erwarten. Cousin Freddy bringt gelegentlich eine Goldkette vorbei, die Ray bei einem Juwelier versetzt. Doch was tun mit dem Raubgut aus dem Coup im legendären „Hotel Theresa“ im Herzen Harlems, nachdem Freddy sich verdünnisiert hat? Als Polizei und Gangster Ray in seinem Laden aufsuchen, steht sein waghalsiges Doppelleben auf der Kippe.

Der mitreißende Roman des zweifachen Pulitzer-Preisträgers Colson Whitehead ist Familiensaga, Soziographie und Ganovenstück, vor allem aber eine Liebeserklärung an New Yorks berühmtestes Viertel.

Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper’s und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion’s Fiction Award (2002) und war Stipendiat der MacArthur „Genius“ Fellowship. Für seinen Roman „Underground Railroad“ wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman „Die Nickel Boys“ erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis.

Colson Whitehead: „Harlem Shuffle“
Übersetzt von Nikolaus Stingl
Hanser, 2021. 384 Seiten, 25 Euro.

 

„Blaue Frau“

Adina wuchs als letzter Teenager ihres Dorfs im tschechischen Riesengebirge auf und sehnte sich schon als Kind in die Ferne. Bei einem Sprachkurs in Berlin lernt sie die Fotografin Rickie kennen, die ihr ein Praktikum in einem neu entstehenden Kulturhaus in der Uckermark vermittelt. Unsichtbar gemacht von einem sexuellen Übergriff, den keiner ernst nimmt, strandet Adina nach einer Irrfahrt in Helsinki. Im Hotel, in dem sie schwarzarbeitet, begegnet sie dem estnischen Professor Leonides, Abgeordneter der EU, der sich in sie verliebt. Während er sich für die Menschenrechte stark macht, sucht Adina einen Ausweg aus dem inneren Exil.

Antje Rávik Strubel veröffentlichte u.a. die Romane „Unter Schnee“ (2001), „Fremd Gehen. Ein Nachtstück“ (2002) und „Tupolew 134“ (2004). Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, ihr Roman „Kältere Schichten der Luft“ (2007) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Rheingau-Literatur-Preis sowie dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet, der Roman „Sturz der Tage in die Nacht“ (2011) stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Antje Rávik Strubel wurde mit einem Stipendium in die Villa Aurora in Los Angeles eingeladen sowie als Writer in residence 2012 an das Helsinki Collegium for Advanced Studies. 2019 erhielt sie den Preis der Literaturhäuser. Sie übersetzt aus dem Englischen und Schwedischen u.a. Joan Didion, Lena Andersson, Lucia Berlin und Virginia Woolf. Zuletzt erschien 2016 der Episodenroman „In den Wäldern des menschlichen Herzens“. Antje Rávik Strubel lebt in Potsdam.

Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“
S. Fischer Verlag, 2021. 432 Seiten, 24 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert