Barbara Frandino beschreibt in „Das hast du verdient“ die schleichende Erosion einer Beziehung. In Wolfgang Hegewalds „Tagessätze“ geht es um große und kleine Politik, Gott und Grammatik, Literatur und Leben. Svealena Kutschke erzählt in „Gewittertiere“ von Figuren am Rande der Gesellschaft und von der Suche nach der Möglichkeit einer Beziehung.
„Das hast du verdient“
Antonio steht auf der Leiter, die an einem Granatapfelbaum im Garten lehnt, und verliert plötzlich den Halt. Claudia sieht, wie er schwankt, zu Boden fällt und nicht wieder aufsteht. Die Sanitäter tragen ihn in den Krankenwagen, sie bitten Claudia einzusteigen. Aber sie kehrt zurück ins Haus und beginnt aufzuräumen. Danach bestellt sie in der Bar einen Cappuccino, erst dann geht sie in die Klinik. Sie haben nie gestritten, auch dann nicht, wenn es Gründe dafür gegeben hätte. Ihre Liebe war einzigartig und doch alltäglich. Was ist passiert? Wann schlägt Enttäuschung in Kälte und Hass um? Präzise seziert Frandino die Geschichte einer Verletzung und zeigt eine Eskalation von Grausamkeit, die atemlos macht.
Barbara Frandino ist Journalistin, Drehbuchautorin, Produzentin und Autorin von Dokumentationen und Radioprogrammen, Herausgeberin der Kurzgeschichten-Sammlungen „Corpo a corpo“ (2008) und „Ti vengo a cercare“ (2011). Zudem ist sie Verfasserin zweier Kinderbücher, „Jason“ (2013) und „Che paura“ (2017), sowie Co-Autorin von Büchern in der Reihe „Save the Parents“.
Barbara Frandino: „Das hast du verdient“
Übersetzt von Karin Fleischanderl
Folio Verlag, 2021. 168 Seiten, 22 Euro.
„Tagessätze – Roman eines Jahres“
Wolfgang Hegewald ist ein Meister des Aberwitzes und der magischen Genauigkeit. Er wendet die Dinge, die er beobachtet, um und um, destilliert aus dem scheinbar Alltäglichen die abenteuerlichsten Bestandteile, setzt sie neu zusammen: Weltseitenblicke als Sprachkaleidoskop. So wird das Selbstverständliche plötzlich zu einem geheimnisvollen Ort des Schreckens oder existentieller Komik. „Ist das schon die Hölle oder noch das Fegefeuer“, fragt sich der Autor, der notiert, was ihm auf Reisen zwischen Hamburg und Helgoland, Neu-Ulm, Dresden und Rom geschieht und durch den Kopf geht, oder in Halberstadt, wo man sich schon auf das Jahr 2640 freuen kann, wenn das Orgelstück von John Cage nach 639 Jahren enden wird. Verwundert hört er davon, dass Greta Thunberg im Wachsfigurenkabinett jetzt neu zwischen Papst Franziskus und Helene Fischer steht.
Um große und kleine Politik geht es, um Wahlen und Kunstakademien, um Gott und Grammatik, um Literatur und den zugehörigen Betrieb – und immer wieder um die Frage, ob wir begreifen, was wir gerade erleben. Hegewalds „Tagessätze“ enden mit einem „springenden Punkt“.
Wolfgang Hegewald, geboren 1952 in Dresden, studierte Informatik und Theologie, bevor er 1983 nach Hamburg übersiedelte, da ihm die Publikation seiner schriftstellerischen Arbeiten in der DDR verweigert wurde. 1984 wurde er beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt ausgezeichnet, 1987 erhielt er ein Stipendium der Villa Massimo in Rom.
Wolfgang Hegewald: „Tagessätze – Roman eines Jahres“
Wallstein Verlag, 2021. 285 Seiten, 24 Euro.
„Gewittertiere“
Colin und ihr Bruder Hannes wachsen in einer kleinstädtischen Reihenhaussiedlung auf. Als nach dem Mauerfall die Angst vor Zuwanderung aus dem Osten geschürt wird, beginnt ihr Vater einen Bunker im eigenen Garten zu graben, eine Baustelle, die ihm zunehmend zum Fluchtpunkt vor der Familie wird. Ein Leben lang werden die Geschwister ihren Platz jenseits privater und gesellschaftlicher Machgefüge suchen – in einem Land, in dem rechtsextreme Gewalt längst zum Alltag gehört. Und während Colin in ihrer Liebe zu Eda Erlösung sucht, erhält Hannes in seinem Beruf als Gerichtsvollzieher eine Macht, der er sich kaum entziehen kann.
Svealena Kutschke studierte Kulturwissenschaften und lebt als Autorin in Berlin. Für ihre literarischen Arbeiten und bisher drei veröffentlichten Romane erhielt sie verschiedene Auszeichnungen und Förderungen, darunter den Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin, das Berliner Senatsstipendium und den Förderpreis des Schiller-Gedächtnispreises 2019.
Svealena Kutschke: „Gewittertiere“
Claassen Verlag, 2021. 368 Seiten, 24 Euro.