18. Mai 2022

Irmgard Keun, Mascha Kaléko und die ukrainischen Flüchtlinge haben vieles gemeinsam

Eine bewegende Lesung

Henning Brand (v.links), Margaux Kier, Nina Hoger und Torsten Krug entführten die Besucher bei der szenisch-musikalische Lesung „Nach Mitternacht in die Zeit der beiden Autorinnen Irmgard Keun und Mascha Kaléko. Foto: Pabst

Endlich, nach zwei, Corona-bedingten Absagen, konnten Nina Hoger, Margaux Kier, Henning Brand und Torsten Krug im Bürgerhaus Schwalbach am vergangenen Sonntag ihre szenisch-musikalische Lesung „Nach Mitternacht“, eine Produktion des „Theater Anderwelten Wuppertal |Köln“ gestalten. Es waren tief bewegende 90 Minuten, in denen das Ensemble die Besucherinnen und Besucher in die Zeit der beiden herausragenden Autorinnen Irmgard Keun und Mascha Kaléko mitnahm.

Erzählung, Lesung, Gesang, Musik wurden dramaturgisch von der ersten bis zur letzten Minuten zu einer beeindruckenden, spannenden Collage zusammengefügt. Torsten Krug, als Erzähler, stellte nuanciert und farbenreich den geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang her. Am Flügel fing Henning Brand die Stimmung der Texte auf und traf mit seiner Auswahl der Stücke – Goldbergvariationen von J.S. Bach, eine Improvisation von Szymanowski sowie Soundeinspielungen – gekonnt die Atmosphäre. Es gelang ihm die Zuhörerinnen und Zuhörer in eine andere Zeit zu entführen.
Unverwechselbar las Nina Hoger einfühlsam die Texte von Irmgard Keun und ließ sie lebendig werden. Margaux Kier als Diseuse und Sprecherin ließ Mascha Kaléko vor unserem geistigen Auge entstehen. Die Lesung war als eine Begegnung der beiden Frauen angelegt: so war das Gespräch der Keun mit Kaléko ganz lebendig, ihre gegenseitigen Berichte klangen so vertraut, als ob sie tatsächlich stattgefunden hätten. Dabei sind die beiden Frauen im wirklichen Leben wohl nie aufeinander getroffen. Es ist dem Autor Heiner Bontrup zu verdanken, dass sein erfundenes fiktives Szenario gut funktionierte.
Die Nazis verfemten ihre Romane als „Asphalt-Literatur“ und verbrannten sie. Irmgard Keun hat ihre Erfahrungen in Nazi-Deutschland in ihrem Roman verarbeitet. „Nach Mitternacht“ steht in diesem Jahr im Mittelpunkt der Reihe „Frankfurt liest ein Buch“. Schwalbach beteiligte sich mit seiner ganz besonderen Veranstaltung daran.
Die Textpassagen aus den Romanen von Irmgard Keun und Gedichte von Mascha Kaléko zeigen nicht nur zwei ausdrucksstarke, emanzipierte Frauen in den sogenannten goldenen 20er Jahren. Ihre literarisch verarbeiteten Erfahrungen von Flucht, Migration und Exil haben eine beklemmende Aktualität.
Unter dem Eindruck von Putins Angriffskrieg gegen ein souveränes Land und unter Missachtung der Menschenrechte haben die Veranstalter die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Main-Taunus-Kreis und die Stadt Schwalbach zur Solidarität mit der Ukraine aufgerufen. So wurde die Lesung durch ein ukrainisches Volkslied „Plyve kacha“, welches seit der Maidan-Bewegung zu einer Art Hymne in der Ukraine geworden ist, und einem aktuellen Lied der Pop-Gruppe Boombox eingerahmt. Beide Lieder trug Margaux Kier einfühlsam, virtuos begleitet von Henning Brand, mit wandlungsfähiger Stimme vor.  
Die mehr als 100 tief bewegten Zuhörerinnen und Zuhörer dankten dem Ensemble und den Veranstaltern mit langanhaltendem wiederholtem Beifall. Der Spendentopf war am Ende prompt mit Scheinen gefüllt. Vorerst sind 2.105 Euro zusammengekommen. Der Betrag wird noch aufgestockt durch weitere Spenden der Künstlerinnen und Künstler. red

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