26. Mai 2022

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

Jennifer Clement beschwört mit ihrem Roman „Auf der Zunge“ das Aufbäumen einer Frau gegen den Verlust der Träume und der Leidenschaft. Alina Bronsky erzählt in „Schallplattensommer“ eine atmosphärische Liebesgeschichte. In „Mary Shelleys Zimmer“ beschreibt Timo Feldhaus einen Himmel und eine Welt im Umbruch.

 

„Auf der Zunge“

Eine Frau streift durch Manhattan. Mit jedem Schritt weiter weg von einem Zuhause, in dem die Liebe blass, der Ehemann sprachlos geworden ist, trotz der langen schönen Zeit. Auf ihren Streifzügen entlang der Brownstones und den emporragenden Feuertreppen begegnen ihr Männer, wie aus der Phantasie entstiegen: der Dichter, der Astronaut, der Räuber, der Löwenbändiger.

In diesen Momenten findet sie etwas, das sie für immer verloren glaubte. Lebendigkeit, Sinnlichkeit, Mut, die Spuren unmissverständlicher Gegenwart. Was muss sie tun, damit diese Gefühle nie wieder fliehen? Damit sie nicht verloren geht, wie die Menschen um sie herum, wie der Charakter dieser Stadt, die vom ganzen Geld der Welt für sie so still geworden ist, wie der Ehemann, der jeden Abend fragt: „Wo bist du gewesen?“.

Jennifer Clement, in Connecticut geboren, wuchs in Mexiko- Stadt auf, studierte in New York und Paris Literaturwissenschaft und hat Lyrik und vier Romane veröffentlicht. Als Präsidentin des P.E.N. International kämpfte sie im Namen von Autor:innen weltweit für das Recht auf freie Meinungsäußerung. „Gebete für die Vermissten“, ihr Roman über die Schicksale gestohlener Mädchen in Mexiko, war ein internationaler Erfolg, die Verfilmung wurde in Cannes ausgezeichnet. Ihr Roman „Gun Love“ wird unter der Regie von Julie Taymor verfilmt.

Jennifer Clement: „Auf der Zunge“
Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner
Suhrkamp Verlag, 2022. 143 Seiten, 20 Euro.

 

„Schallplattensommer“

Als einziges Mädchen im Umkreis von 13 Kilometern ist Maserati Aufmerksamkeit gewohnt. Dabei will sie nur eines: Den Feriengästen selbstgemachte Limonade ihrer Oma servieren und die Tage bis zur Volljährigkeit zählen. Mit der Liebe will sie nichts zu tun haben – und schon gar nichts mit den Annäherungsversuchen der Söhne der reichen Familie, die gerade die Villa im Dorf gekauft hat.

Doch dann stellen Caspar und Theo verbotene Fragen: Warum hat Maserati kein Smartphone? Wovor hat sie solche Angst? Und wie kann es sein, dass ihr Gesicht das Cover einer alten Schallplatte ziert? Plötzlich steckt Maserati bis zum Hals in Geheimnissen zweier Familien und im eigenen Gefühlschaos.

Alina Bronsky wurde 1978 in Jekaterinburg, Russland, geboren und lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland. Ihr Debütroman „Scherbenpark“, der unter anderem für den Jugendliteraturpreis nominiert war, wurde auf Anhieb zu einem Bestseller und für das Kino verfilmt. Es folgten weitere hoch erfolgreiche Bücher wie der Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“, der lange auf der Spiegel-Bestsellerliste stand und für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Alina Bronsky lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Alina Bronsky: „Schallplattensommer“
dtv, 2022. 192 Seiten, 15 Euro.

 

„Mary Shelleys Zimmer – Als 1816 ein Vulkan die Welt verdunkelte“

1815 explodiert auf einer indonesischen Insel der Tambora. Es ist der heftigste Vulkanausbruch der Neuzeit und bewirkt enorme Klimaveränderungen. Kalt und dunkel wird es, auch in Europa kommt es zu einem Jahr ohne Sommer.

Timo Feldhaus folgt der riesigen Schwefelwolke, die die Welt verdüstert, und beobachtet, was unter ihr geschieht: Goethe entdeckt die Wolkenwissenschaft, Caspar David Friedrich malt giftgelbe Sonnenuntergänge, Napoleon sitzt einsam auf der Insel St. Helena und hat alles verloren. Ein Mädchen sieht ihre Familie verhungern und irrt durch ein Deutschland, in dem die nationale Idee aufkeimt.

In Genf kommt es zu einer künstlerischen Eruption: Die 18-jährige Mary Shelley, gerade mit ihrer Liebe aus London geflohen, versteckt sich vor den Unwettern bei Lord Byron, dem ersten Rockstardichter. Hier kommt dem stillen, hochtalentierten Mädchen die Idee für ihren ersten Roman: die Geschichte von Frankenstein und seinem Monster, die erste Science-Fiction.

Timo Feldhaus beschreibt einen Himmel und eine Welt im Umbruch – die der heutigen überraschend ähnlich ist. Es ist eine außergewöhnliche Liebesgeschichte inmitten einer Klimakatastrophe.

Timo Feldhaus, geboren 1980, ist Journalist und Autor. Nach einem Studium der Literaturwissenschaft schreibt er für die Süddeutsche Zeitung, für Zeit Online, Monopol und die Welt am Sonntag über Kunst- und Gesellschaftsthemen. Mit seiner Familie lebt er in Berlin und München.

Timo Feldhaus: „Mary Shelleys Zimmer – Als 1816 ein Vulkan die Welt verdunkelte“
Rowohlt Verlag, 2022. 320 Seiten, 26 Euro.

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