Die Stadt Schwalbach hat 19 Millionen Euro bei der inzwischen insolventen Greensill-Bank angelegt und mutmaßlich verloren. In einer Serie beleuchtet die Schwalbacher Zeitung, wie es zum größten finanziellen Verlust in der Geschichte der Stadt kommen konnte und wer die Verantwortlichen für das Desaster sind. Im sechsten Teil geht es darum, wie bis heute versucht wird, die Ursachen des Desasters zu verheimlichen.
Den 3. März 2021 wird Bürgermeister Alexander Immisch so schnell nicht vergessen. An diesem Mittwoch verliert Schwalbach fast die Hälfte seines „Sparvermögens“ und rund ein Fünftel seiner angelegten Gelder. Als die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) am Mittag in einer Pressemitteilung verkündet, dass sie die Geschäfte der Bremer Greensill-Bank gestoppt hat und fast alle Medien kurz darauf über den Crash der Bank berichten, ist dem Rathaus-Chef klar, dass er ein großes Problem hat. 19 Millionen Euro hat er im Laufe von acht Monaten in Form von Festgeldern bei der Bank angelegt und die sind jetzt akut in Gefahr.
Das Gewitter braute sich schon einen Tag vorher zusammen. Und vielleicht hätte es noch eine kleine Chance gegeben, das Geld zu retten. Denn einer der Anlagevermittler, der der Stadt die Greensill-Anlagen empfohlen hatte, meldete sich am 2. März per E-Mail bei der Leiterin der Stadtkasse und bot an, eine vorzeitige Auflösung der Festgelder zu prüfen. Doch die Mitarbeiterin war aus „dienstlichen und privaten“ Gründen an diesem Dienstag verhindert und die Mail blieb ungelesen. Als die Kassenleiterin die E-Mail schließlich am 3. März fand, war es zu spät. Die Bafin hatte die Greensill-Bank bereits geschlossen und eine kurzfristige Kündigung der Gelder war nicht mehr möglich. Bis heute ist allerdings unklar, ob es tatsächlich eine Möglichkeit gegeben hätte, die 19 Millionen Euro so kurzfristig zurück zu holen.
Die Kassenleiterin informierte umgehend ihre Amtsleiterin und am Morgen des 4. März wurde Alexander Immisch offiziell in Kenntnis gesetzt, der vom Greensill-Zusammenbruch aber sicher schon aus den Nachrichten gehört hatte.
Das Unglück kam zur Unzeit, denn alle Parteien befanden sich in der heißen Phase des Kommunalwahlkampfes. Am 14. März sollte ein neues Stadtparlament gewählt werden. Eine Nachricht über den Verlust von unfassbaren 19 Millionen Euro wäre das Top-Thema an den Ständen der Parteien gewesen. Also entschied sich Alexander Immisch zum ersten und nicht zum einzigen Mal für das Schweigen. Als am Abend des 4. März die Stadtverordneten öffentlich tagten, erwähnte er die Katastrophe mit keinem Wort. Er sah auch keine Veranlassung, den Magistrat zu informieren. Die Stadtregierung setzte er erst in der nächsten Routinesitzung am Montag, 8. März, in Kenntnis. Am Dienstag, 9. März, folgten der Landrat, die Fraktionsvorsitzenden und die Presse und damit die Öffentlichkeit.
In diesem Pressegespräch setzte der Bürgermeister seine Schweige-Taktik fort und behauptete, die Anlagerichtlinie der Stadt sei nicht-öffentlich. Kein Wunder, stand da doch drin, dass Geldanlagen bei Privatbanken nicht zulässig sind. Gleichzeitig räumte er aber ein, dass er ganz klar hinter der Entscheidung für Festgeldanlagen bei Privatbanken und der Greensill-Bank gestanden hat: „Wir wollten Negativzinsen vermeiden, haben uns beraten lassen und haben dann bei der Bank angelegt“, erklärte er. Dass er damit gegen einen Magistratsbeschluss verstoßen hat, verschwieg er, obwohl er es da schon nachweislich wusste. Das musste der Magistrat selbst einige Tage später in einer eigenen Pressemitteilung verkünden.
Aufklärung erhofften sich die Stadtverordneten von einer Sondersitzung des Stadtparlaments am 25. März. Doch der Bürgermeister wiederholte nur Bekanntes, übernahm aber die Verantwortung für das Desaster – freilich ohne konkret zu sagen, was er damit eigentlich meint.
In einem Interview mit der Schwalbacher Zeitung gab er dann ein paar Tage später doch einige Einblicke in das Anlageverhalten der Stadt und verteidigte nochmals die Entscheidung, bei Privatbanken angelegt zu haben. Das machte auch die Staatsanwaltschaft in Frankfurt hellhörig, die Ermittlungen wegen Untreue im Amt gegen Alexander Immisch einleitete, die bis heute andauern.
Am 6. Mai kam es zu einer Hausdurchsuchung im Rathaus, bei der die Staatsanwaltschaft zahlreiche Ordner rund um die Greensill-Anlagen beschlagnahmte. Am gleichen Abend tagte erstmals der Akteneinsichtsausschuss, der den Sachverhalt aufklären sollte. Und wieder hielt es Alexander Immisch nicht für nötig, die Parlamentarier sachgerecht zu informieren. Er verschwieg den morgendlichen Besuch der Ermittler im Rathaus einfach.
Stattdessen kämpfte sein SPD-Parteifreund Eyke Grüning, der den Ausschuss leitete, leidenschaftlich dafür, die Untersuchung der Vorgänge unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzunehmen. Doch der Druck auf die frisch vermählten Koalitionäre von SPD und CDU war zu groß, so dass sie gegen ihre zuvor vehement geäußerten Überzeugungen das Publikum doch zuließen.
Im Akteneinsichtsausschuss zeigte sich erstmals die Wagenburg, die SPD und CDU um den angeschlagenen Bürgermeister aufgebaut hatten. In Sondierungsgesprächen hatte die SPD nach der Wahl als stärkste Fraktion nach einem Koalitionspartner Ausschau gehalten. Die Grünen wollten dabei erst konkrete Verhandlungen über eine Koalition führen, nachdem die Vorgänge und die Rolle des Bürgermeisters bei den Greensill-Anlagen geklärt sind. Die CDU war weniger zimperlich, handelte für sich einen hauptamtlichen Ersten Stadtrat aus und verteidigt seither mit Verve einen SPD-Bürgermeister, der für den größten finanziellen Verlust in der Geschichte der Stadt verantwortlich ist. Mit dabei bei den Koalitionsverhandlungen war auch die heutigen Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Das Wort aber führte häufig der Mann, der im Mittelpunkt der Affäre steht: Alexander Immisch.
Den Bericht des Akteneinsichtsausschusses schrieb dann Eyke Grüning im Alleingang, wobei er an der einen oder anderen Stelle auch die kritischen Minderheitenmeinungen von FDP und Grünen erwähnte, insgesamt den Bürgermeister aber freisprach. Viele Punkte indes, die die Ausschussmitglieder in ihrer letzten Arbeitssitzung auf eine große, elektronische Tafel geschrieben hatten, fielen einfach unter den Tisch. Mit den Stimmen der großen Koalition wurde der Bericht trotzdem genehmigt.
Zeitgleich mit dem Akteneinsichtsausschuss begann die Revision des Main-Taunus-Kreises, die Geldanlagen der Stadt Schwalbach zu überprüfen. Außerdem leitete Landrat Michael Cyriax ein Disziplinarverfahren gegen Alexander Immisch ein, das allerdings ruhen muss, bis die Frankfurter Staatsanwälte ihre Arbeit getan haben.
Die Revision beklagt in ihrem Abschlussbericht, dass die Unterlagen aus dem Schwalbacher Rathaus lückenhaft und viele Nachfragen erforderlich waren. Außerdem beanstanden die Revisoren widersprüchliche Aussagen und Telefonnotizen, die weit nach den eigentlichen Vorgängen angefertigt worden waren. Schließlich fanden sie eine E-Mail, die offensichtlich manipuliert worden war.
Am 29. November 2021 schickte die Revision ihren Bericht mit 29 verschiedenen Beanstandungen nach Schwalbach. Detailliert beschreibt dieser, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Alexander Immisch schwieg erneut und ließ sich bis Februar 2022 Zeit, den Bericht überhaupt in den Magistrat zu geben. Im April ließ er dann in Absprache mit der Revision des Kreises den Bericht zur „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ erklären. Eine öffentliche Diskussion über seine Verfehlungen und die einer Mitarbeiterin der Stadtverwaltung war damit nicht mehr möglich. Beraten wurde das brisante Papier nicht-öffentlich innerhalb von einer guten Stunde. Für SPD und CDU scheint das Thema Greensill damit abgehakt.
Am Ende wurde der Inhalt des Revisionsberichtes nur bekannt, weil der Main-Taunus-Kreis im Juli einem Antrag der Schwalbacher Zeitung auf Veröffentlichung doch noch stattgab.
Insgesamt ist es damit für die Schwalbacher und Schwalbacherinnen bis heute nur schwer nachzuvollziehen, wie ihre Steuergelder in Höhe von 19 Millionen Euro verschwinden konnten. Dabei hatte Alexander Immisch kurz nach dem Zusammenbruch der Greensill-Bank erklärt, er wolle die Vorgänge vollständig aufklären. Den Worten folgten bisher leider nur wenige Taten. Fortsetzung folgt. MS
Herzlichen Dank für die Aufklärung, Herr Schlosser!
Ich bin sehr erstaunt, wie wenig Resonanz dieser riesige, aus meiner Sicht überaus fahrlässig herbeigeführte, Verlust hervorruft. Ich gehe fest davon aus, dass jedem aus der Finanz- und Versicherungsbranche bekannt ist, dass mit höherem Ertrag ein höheres Risiko erkauft wird. Die Marktumstände rechtfertigen eine solche Spekulation jedoch nicht. Niemand würde einen Busfahrer freisprechen, der auf gerader Strecke mit überhöhter Geschwindigkeit verunglückt, nur weil er eine Verspätung aufholen wollte. Der Zweck heiligt nicht die Mittel und die unheilvolle Allianz des Schweigens verrät mir, dass etwas mächtig faul ist und niemand die moralisch erforderliche Konsequenz tragen möchte. Ich spreche nicht von disziplinarischen oder strafrechtlichen Folgen, sondern von dem Schritt, der von demjenigen erwartet wird, der das Vertrauen der Bürger verspielt hat, deren Geld keinerlei Spekulation zu unterwerfen ist. Etwas verändern zu wollen, mag ein guter Charakterzug sein, es völlig ungeprüft zu tun, ist ein grober Vertrauensbruch! Die vielfachen Vertuschungsversuche rufen nach Konsequenzen, der einzigen Konsequenz, dem entscheidenden Schritt!
Die internationalen Medien hatten die Ehrlichkeit und Integrität von Greensill seit Mitte 2018 in Frage gestellt, nachdem ein Whistleblower bei GAM Betrug und schweres Fehlverhalten aufgedeckt hatte. Es gab keine Entschuldigung für jemanden mit Internetzugang, Greensill ausgesetzt zu bleiben. Gier und Dummheit haben gewonnen.