20. Oktober 2022

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

Robert Menasse veröffentlicht mit „Die Erweiterung“ die Fortsetzung des preisgekrönten Romans „Die Hauptstadt“. Hervé Le Tellier schreibt in „Ich verliebe mich so leicht“ über das ewige Abenteuer Liebe. „Landreisen“ von Richard Kaufmann ist eine Sammlung von Essays und Reiseberichten mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Europa, nach Nordafrika und bis nach Iran.

 

„Die Erweiterung“

Zwei Brüder, nicht leibliche Brüder, sondern „Blutsbrüder“, verbunden durch einen Schwur, den sie im polnischen Untergrundkampf gegen das kommunistische Regime geleistet haben, gehen nach dessen Zusammenbruch getrennte Wege. Der eine, Mateusz, steigt in höchste Ämter auf und wird schließlich polnischer Ministerpräsident. Der andere, Adam, macht nach dem EU-Beitritt Polens in der Europäischen Kommission Karriere, in Brüssel ist er zuständig für die Erweiterungs-Politik. Während die Vorbereitungen für die Westbalkankonferenz im polnischen Poznan auf Hochtouren laufen, bittet Adam Mateusz um Unterstützung, doch der beginnt das Beitrittsgesuch Albaniens zu unterminieren. Aus der einstmals tiefen Verbundenheit wird eine unversöhnliche Feindschaft von europäischer Dimension. Auf einer vom albanischen Ministerpräsidenten organisierten Kreuzschifffahrt auf der SS Skanderbeg, zu der er alle Regierungschefs der Balkanstaaten, die EU-Außenminister und sämtliche Vertreter der Europäischen Union eingeladen hat, treffen die Beiden wieder aufeinander. Was dann passiert, steht längst nicht mehr in ihrer Macht.

Der politische Konflikt der beiden Blutsbrüder ist aber nur der Rahmen, innerhalb dessen sich eine Vielzahl von Schicksalen entscheidet, kühne Pläne und große Lebensanstrengungen auf die Probe gestellt werden, bis es zum Showdown kommt, auf dem schwankenden Boden eines albanischen Kreuzfahrtschiffs.

Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den „Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb“. Menasse lehrte anschließend sechs Jahre – zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie – an der Universität São Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u.a. über Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien.

Robert Menasse: „Die Erweiterung“
Suhrkamp Verlag, 2022. 653 Seiten, 28 Euro.

 

„Ich verliebe mich so leicht“

Wie in dem Bestseller „Die Anomalie“ beginnt auch hier alles in einem Flugzeug. Ein bis über beide Ohren verliebter Mann sitzt im Flieger von Paris nach Schottland. Er reist einer Frau nach, um sie zu überraschen. Bald schon schwant ihm, dass dies nicht die beste seiner Ideen war. Denn sie hat ihn nicht eingeladen. Aber was soll er tun? Sein Verstand setzt aus, er weiß es ja selbst. In einem kleinstädtischen Hotel und in einem sinistren Café wartet er vergeblich auf sie. Könnte es sein, dass sie ihn überhaupt nicht sehen will? Schließlich kommt es zu einer schwer zu deutenden Begegnung in der Einsamkeit der Highlands. Was versteht er nicht? Was hat sie eigentlich vor? Er fühlt sich wie eins der vielen Schafe, die ihn anglotzen.

Hervé Le Tellier wurde 1957 in Paris geboren. Er veröffentlichte Romane, Erzählungen, Gedichte und Kolumnen. Seit 1992 ist er Mitglied der Autorengruppe OuLiPo (Ouvroir de Littérature Potentielle), die von François Le Lionnais und Raymond Queneau gegründet wurde und der Autoren wie Georges Perec, Italo Calvino und Oskar Pastior angehörten. Er lebt in Paris. Für seinen Roman „L’Anomalie“ erhielt er 2020 den Prix Goncourt.

Hervé Le Tellier: „Ich verliebe mich so leicht“
Übersetzt von Romy und Jürgen Ritte
Rowohlt Buchverlag, 2022. 128 Seiten, 20 Euro.

 

„Landreisen – Reisen ohne Ziel“

Nach Marokko reist Richard Kaufmann einmal unabsichtlich ganz ohne Geld, einfach, weil er sich komplett planlos auf den Weg machte. Es verändert ihn, aber vor allem die Art, wie er danach reist. Auf weiteren Trips findet er heraus: Die schönsten Orte finden wir unterwegs, auf dem Landweg. Wir verpassen sie sonst nur, wenn wir über sie hinwegfliegen.

Der Autor von „Landreisen“ lädt uns dazu ein, ihn auf Reisen zu weit entfernten und ganz naheliegenden Orten zu folgen. In Essays geht es um die Schönheit langsamer Reisen, Wochenend-Trips ohne Flugzeug und wie gemeinsame Reisepläne wirklich aufgehen können. Dem Buch liegt eine Karte bei, auf der Distanzen und Zugpreise für beliebte und weniger bekannte Ziele in Europa eingezeichnet sind.

Richard Kaufmann: „Landreisen – Reisen ohne Ziel“
Verlag Raz el Hanout, 2022. 224 Seiten, 22 Euro.

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