9. November 2022

Leserbrief

„Der Bürgermeister trägt nicht die Schuld“

Zur Serie „Das Greensill-Desaster“ erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden und Journalistin Claudia Ludwig. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.

Seit Mitte September hat die Schwalbacher Zeitung nun in acht Folgen die „Greensill“-Geldanlagen aufgearbeitet; mit einem etwas reißerischen Logo zwar, aber auch mit viel Fleißarbeit und Recherche und dem redlichen Bemühen, den wirklich extrem komplizierten Vorgang möglichst nachvollziehbar darzustellen. Dass bei solch einer umfangreichen Serie die Sachlichkeit an der einen oder anderen Stelle ein wenig verloren geht, ist verzeihbar. Auch dass sich Mathias Schlosser dem für den Bürgermeister sehr unangenehmen Thema so schonungslos wie langanhaltend annimmt, ist völlig in Ordnung. Das ist sein Job. Und 19 verlorene Millionen Steuergelder sind ja auch wahrlich kein Pappenstiel.

Doch kaum jemand bedauert den schlimmstenfalls kompletten Verlust mehr als der Rathaus-Chef selbst, ist es doch schließlich sein Etat, der nun schmerzlich fehlt und ihm die finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten nimmt. Und genau wie der Akteneinsichtsausschuss – dem ich selbst angehörte – als auch der Revisionsbericht des MTK, so kann auch die Serie dem Bürgermeister keine böse Absicht nachweisen. Ebenso wenig finden sich Fakten, die eindeutig beweisen, dass die Initiative zur fatalen Fehlanlage von seiner Person ausging. Darum warten Alexander Immisch und die Schwalbacher SPD auch so dringend auf die Ergebnisse der Untersuchungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Sie werden den Bürgermeister entlasten.

Er trägt nicht die Schuld an dem „Desaster“, aber – natürlich – die Verantwortung. So wie jeder Verwaltungschef nun einmal für alles verantwortlich ist, was unter seinem Rathausdach passiert. Die „Schuld“ des Bürgermeisters – wenn man denn von einer solchen sprechen möchte – lag nach meiner Einschätzung schlichtweg darin, dass er seinen Mitarbeiterinnen zu sehr vertraute. Er verließ sich auf einen – aus seiner Sicht – eingespielten Vorgang, und er verließ sich auf sein Team. Ein fataler Fehler.

So etwas wird in Zukunft nicht mehr passieren. Es wird nicht mehr passieren können. Wir sind der Hofheimer Revision dankbar für ihren Bericht und ihr Fazit. Die zu Recht beanstandeten Abläufe rund um die Geldanlagen werden so nicht mehr stattfinden. Der Bürgermeister, die Finanzabteilung, Magistrat und Stadtverordnete haben aus der Katastrophe gelernt. Die Abläufe wurden geändert. Und das ist entscheidend.

Die Medien werden bei uns gerne als „die vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet. Zu Recht. In einer Demokratie ist es unverzichtbar, dass es sie gibt – und dass sie durchaus den Finger in die Wunde legen. Niemand möchte eine Hofberichterstattung. Aber einen fairen Umgang, den kann man von der Presse schon erwarten. Große Teile der „Greensill“-Serie sind so weit in Ordnung und – wie gesagt – aufwändig und gründlich recherchiert.

In Folge 4 gerät dann aber doch einiges durcheinander: So ist Alexander Immisch keineswegs mit der Kassenleiterin per Du. Das stimmt einfach nicht und ist schlecht recherchiert. Und ein zugegebenermaßen „lockerer Ton“ ist vielleicht „befremdlich“, aber doch kein Beweis für illegale Machenschaften. Auch der neue Intendant des Hessischen Rundfunks war sofort mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per Du, genau wie seine Programmdirektorin. Und trotzdem haben die beiden ihren Laden im Griff.

Was mich als langjährige und erfahrene Journalistin allerdings an der Serie wirklich verstört, ist der Schluss. Eine Zeitung muss schonungslos und kritisch berichten. Sie kann auch meinungsbildend sein sowie Vorgänge und Nachrichten kommentieren. Aber eine Berichtsreihe mit einer Petition zu beenden, ist ihre Aufgabe nicht. Hier wird der direkte Zugang zur Öffentlichkeit missbraucht. Ein dezidierter Aufruf zu einer Abwahl hat an dieser Stelle nichts zu suchen und ist unseriös. Dafür gibt es andere Foren und Möglichkeiten. Dr. Claudia Ludwig, stv. SPD-Fraktionsvorsitzende

Anmerkung der Redaktion: Es gibt keinen „dezidierten Aufruf“ der Schwalbacher Zeitung zur Abwahl des Bürgermeisters. Herausgeber Mathias Schlosser hat die Petition gestartet, um den Bürgerinnen und Bürgern, die das wollen, eine Stimme zu geben, da eine umfassende, öffentliche Diskussion über die Vorgänge und die Verantwortung des Bürgermeisters auch auf Betreiben der SPD-Fraktion bisher nicht stattgefunden hat. Inhaltlich bleiben wir vorerst bei unserer Darstellung und werden Fehler gegebenenfalls richtig stellen.

6 Gedanken zu „„Der Bürgermeister trägt nicht die Schuld“

  1. Hallo Neutraler Bürger!
    Eine Petition ermöglicht es Menschen, sich mit einem klaren Ja, oder Nein zu einer Angelegenheit zu äußern. Unter welchem Titel die Petition verfasst wurde ist dabei nicht ausschlaggebend. Die Bürgerinnen und Bürger Schwalbachs entscheiden, was sie wollen und was nicht!
    Übrigens, Neutralität hat für mein Geschmäckle eine andere Bedeutung .

  2. Schuldhaft ist in der Juristerei definiert als „Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit“.
    Vorsatz ist recht offensichtlich auszuschließen. Aber nach all den Erkenntnissen, die Herr Schlosser dankenswerterweise ans Tageslicht befördert und aufarbeitet hat, muss man die grobe Fahrlässigkeit schon in Betracht ziehen. Grobe Fahrlässigkeit liegt laut Definition vor, wenn ein Schaden durch einfache und naheliegende Verhaltensweisen hätte verhindert werden können und diese außer Acht gelassen wurden.
    Nach diesen Definitionen ist es für mich völlig klar, dass Herr Immisch schuldhaft gehandelt hat – er also die Schuld trägt. Dass er die nach Aussagen von Frau Ludwig nicht haben soll, weil er nicht mit der Kassenleiterin per du ist und jetzt Prozesse eingerichtet sind, die solche Anlagen in Zukunft verhindern sollen hilft hier bei der Bewertung der Schuld auch nicht. Wenn ich betrunken, mit 30 km/h zu viel über eine rote Ampel fahre und einen Unfall verursache, werde ich auch zur Verantwortung gezogen, selbst wenn ich glaubhaft versichern kann, dass ich das nie wieder tun werde.

    Abgesehen von der reinen Schuldfrage sollte doch auch die Frage gestattet sein, ob die „politische Verantwortung“ von der früher häufig die Rede war völlig aus der Mode gekommen ist. Ob man nach Frankfurt zu Herrn Feldmann, nach Eschborn zu Herrn Shaikh oder nach Schwalbach zu Herrn Immisch schaut, lässt einen das Gefühl nicht los, dass so ein Bürgermeisterstuhl doch zu bequem ist um politische Verantwortung zu übernehmen und einen Neuanfang zu ermöglichen.

  3. Nachdem ich den Leserbrief von Frau Dr.Claudia Ludwig gelesen habe, war ich tatsächlich auch verstört! Die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, dürfte der Menschheit bekannt sein. Dafür braucht es keine Erklärung. Wie der neue Intendant des Hessischen Rundfunk seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anspricht, spielt nun wirklich keine Rolle. Ich setze im HR die nötige Kompetenz voraus! Herr Immisch trägt nach ihrer Einschätzung nicht die Schuld an dem Desaster, sondern die Mitarbeiterinnen ( bis jetzt war immer nur die Rede von einer Mitarbeiterin) . Interessant finde ich, dass die Mitarbeiterinnen wohl immer noch ihre Tätigkeit wahrnehmen. Es ist zu einfach, andere für das Fehlverhalten des Bürgermeisters verantwortlich zu machen. Der Bürgermeister, die Finanzabteilung, Magistrat und die Stadtverordneten sollen aus der Katastrophe gelernt haben….Haben sie das? Mein Vertrauen in die Damen und Herren der großen Koalition ist schlichtweg nicht mehr vorhanden. Dazu beigetragen hat u.a. die öffentliche Sitzung des Greensill Akteneinsichtsausschusses. Schwalbach braucht einen politischen Neuanfang! Die Petition ist eine Möglichkeit für die Menschen in Schwalbach ihrer Meinung eine Stimme zu geben.

  4. Zitat: „Die Schwalbacher Zeitung hat mit der Petition lediglich für alle Bürgerinnen und Bürger von Schwalbach ein Instrument geschaffen, sich zu äußern.“

    Wenn das so wäre, wäre der Petitionstitel ein anderer. So suggeriert der Titel nur die negative Seite (Bürgermeister Immisch abwählen) und ruft nicht zu einer Diskusion auf. Von daher erwarte ich dann doch eine ausgewogene Beurteilung.

    Auch im Artikel auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe geht es nicht um einen konstruktiven Diskussionsaufruf.

    So ist es arg Einseitig. Von daher stehe ich zu „Geschmäckle“.

  5. Was meinen Sie mit „Geschmäckle“? Ich verfolge keinerlei persönliche Interessen mit der Petition. Nochmal: Die Schwalbacher Zeitung hat die Petition nicht gestartet, um den Bürgermeister aus dem Amt zu jagen. Die Schwalbacher Zeitung hat mit der Petition lediglich für alle Bürgerinnen und Bürger von Schwalbach ein Instrument geschaffen, sich zu äußern. Sehen Sie es doch einmal so: Wenn weniger als 10% der Wahlberechtigten unterzeichnen – was der Mindestanforderung an ein Bürgerbegehren entspricht – dann wäre das ja auch ein Zeichen dafür, dass die Schwalbacherinnen und Schwalbacher ihrem Bürgermeister weiter vertrauen. Wenn es mehr als 10% werden, sind die Stadtverordneten allerdings aufgefordert zu handeln. Eine Anmerkung noch: Den Titel einer Petition kann man nicht ändern, nachdem fast 300 Leute unterzeichnet haben.

  6. Hallo Frau Ludwig,

    danke für den Leserbrief.

    Hallo Herr Schlosser,

    heißt die Petition (groß auf der Schwalbacher Zeitung Webseite) nicht etwa „Bürgermeister Immisch abwählen“?

    Wenn das „kein“ dedizierter Aufruf ist, dann ist mein Demokratieverständnis vollkommen falsch.
    Wenn es eine Diskussion anregen soll wie sie in der Anmerkung schrieben, ändern Sie den Titel der Petition.

    So hat das ein „Geschmäckle“.

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