Die Bewohnerinnen und Bewohner des Rudolf-Dietz-Weges wenden sich in einem offenen Brief und einer Unterschriftenliste an die Stadtverordneten mit der Bitte, den Straßennamen nicht zu ändern. Leserbriefe und offene Briefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.
Nachdem wir auf der letzten Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur und Soziales am 27. April so eindringlich darum gebeten wurden, nun endlich einzusehen, dass unser Straßenname geändert werden müsste, erklären wir, die Bewohnerinnen und Bewohner des Rudolf-Dietz-Weges, hiermit, dass wir eine erneute Namensänderung unserer Straße nicht für notwendig erachten und sie entsprechend ablehnen.
Wir sind mündige Bürger und Bürgerinnen und brauchen keine Belehrungen zu Vorgängen der Vergangenheit, die wir teilweise noch selbst erlebt haben oder aus Erfahrungen unserer Eltern oder Großeltern kennen.
Der nun seit mehr als dreieinhalb Jahren andauernde Versuch, uns etwas aufzuzwingen, gegen das wir uns gleich zu Beginn mit einer nahezu vollständigen Unterschriftenaktion aller Anwohner gewehrt haben, ist nach den letzten Diskussionen im Ausschuss beziehungsweise seinen Empfehlungen ja wohl ein eindeutiger Hinweis darauf, dass in dieser Stadt keine bürgernahe Politik gemacht wird, sondern einfach von oben her entschieden werden soll. Ist das etwa auf unserer kommunalpolitischen Ebene demokratisch? Kann ein solches Verhalten unserer Stadtverordneten nicht vielmehr dazu führen, dass die zunehmende antidemokratische Tendenz in unserer Gesellschaft beziehungsweise die zunehmende Unzufriedenheit mit der praktizierten Demokratie beflügelt wird?
Die vielfach in den letzten Wochen so besonders betonte „Ehrung“, die mit den Straßennamen verbunden sei, halten wir im vorliegenden Falle allein insofern für nicht ganz überzeugend, als in den ohne hin spärlichen Unterlagen unsres Stadtarchivs keine besonderen Hinweise für eine Begründung vorliegen. Wir hatten schon nach einer Umbenennung unserer Straße vor Jahrzehnten kein Problem, mit diesem Dichternamen in unserem „Dichterviertel“ weiter zu leben, wo es ohnehin noch zwei Straßennamen mit nicht ganz unbelasteten Namen gibt, nämlich Stoltze und Niebergall. Außerdem verweisen wir darauf, dass von den mindestens noch ein gutes Dutzend Straßen in Hessen mit dem Namen Rudolf Dietz bisher lediglich eine umbenannt beziehungsweise nach der alten Bezeichnung rückbenannt wurde. In zwei Städten haben die Stadtverordneten eine geforderte Umbenennung abgelehnt.
Selbstverständlich stehen wir hinter der Ausrufung unserer „Stadt gegen Rassismus“. Aber Rassismus bekämpft man nicht wirkungsvoll mit der Umbenennung beziehungsweise Auslöschung von Straßennamen, zumal man in Schwalbach außer über Jahn und die zwei erwähnten Dichter noch über zwei weitere „Menschen mit Nazi-Vergangenheit“ auf unseren Straßenschildern diskutieren könnte. Kampf gegen Rassismus ist vielmehr der Eintritt für die Würde aller Menschen, die nach Grundgesetz, Artikel 1 (1) auch von aller staatlichen Gewalt zu achten und zu schützen ist. Und Achtung vor der Menschenwürde bedeutet unseres Erachtens auch, Mitmenschen nicht nur nach zeitweiligen Verfehlungen in einer schrecklichen Zeit, sondern nach ihrer gesamten Lebensleistung zu beurteilen.
In der Sache Dietz sind wir der Meinung, dass ausgehend von teilweise zweifelhaften Aussagen in Quellen wie Wikipedia, zumindest einige der vorgebrachten Behauptungen nicht zu beweisen oder auch anders zu interpretieren sind. So ist nach neuerer Mitteilung der früheren Stadtarchivarin von Wiesbaden die Mitgliedschaft von Dietz in dem nazistischen „Deutschbund“ nicht nachzuweisen. Über die meisten der vorliegenden ohnehin nur etwa 30 (von 1001) „antisemitischen“ Gedichte kann man durchaus streiten. Es dient der Wahrheitsfindung nicht, einseitige Interpretationen weiter zu verbreiten beziehungsweise mit Übertreibungen und Generalisierungen zu arbeiten. Angesichts der lediglich lokalen Wirkung von Dietz und seinen auf die ersten Jahre des NS-Zeit beschränkten wenigen öffentlichen Auftritte weisen wir jeglichen Vergleich von ihm mit Hitler, Goebbels oder anderen Nazi-Größen scharf zurück.
Ähnliche Einseitigkeiten und Übertreibungen sind übrigens auch für die beiden übrigen umstrittenen Straßenbenennungen in Schwalbach festzustellen, gegen deren Umbenennung wir uns ebenso aussprechen. Hinzu kommt, dass mit Hans Bernhard Reichow eine national und international anerkannte und ausgezeichnete Persönlichkeit betroffen ist. Von deren gestalterischer Leistung haben mittlerweile schon Generationen von Schwalbacherinnen und Schwalbachern mit einem Leben in einer einzigartig angenehmen Umwelt profitiert. Und noch vor wenigen Jahren wurde er mit den Stimmen von teilweise heute noch amtierenden Stadtverordneten einstimmig mit einer Festveranstaltung und von der Stadt mit einer eigenen Festschrift geehrt.
Wir halten es mit dem Geschichts- und Heimatverein von Naurod, der ausführlich auf seiner Internetseite die vielseitige und „unwahrscheinlich“ soziale Lebensleistung von Dietz beschreibt und zu dem Schluss kommt: „Der Geschichts- und Heimatverein Naurod distanziert sich von der politischen Seite des Rudolf Dietz. Er empfindet seine Verdienste um die Nassauer Mundart und die Heimatpflege jedoch als überwiegend und hält dafür an der Erinnerung an Rudolf Dietz als Heimatdichter fest.“ Immerhin gehörte Schwalbach von 1806 an zum neugegründeten Herzogtum Nassau und von 1868 bis Ende Juni 1944 zur preußischen Provinz Hessen-Nassau, so dass zumindest eine regionale Beziehung von Dietz zu Schwalbach besteht.
Nochmals, wir brauchen keinen neuen Namen, um unserer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus Ausdruck zu verleihen. Straßen haben auch eine Orientierungsfunktion und mit der haben wir jahrzehntelang ohne Beeinträchtigungen gut gelebt. Lassen Sie uns bitte weiter in Frieden und guter Nachbarschaft mit allen Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt in unserer gewohnten Umgebung weiterleben.
Wir treten weiter auch dafür ein, den Bewohnern und der Stadtverwaltung keinerlei unnötige Belastungen und Ausgaben aufzuerlegen. Wir begrüßen eine Erinnerungstafel, die am Beginn des Rudolf-Dietz-Wegs die Problematik der gegenwärtigen Auseinandersetzung deutlich macht. Damit würde der Name nicht einfach totgeschwiegen, sondern ständig auch an seine dunklere Seite erinnert. Sollte diese Tafel, wie vorgeschlagen, etwa vom Verschönerungsverein übernommen werden, sind wir bereit, uns an den Kosten zu beteiligen.
Sollten Sie an unserer Geschlossenheit irgendwelche Zweifel haben, schlagen wir vor, wie in Taunusstein-Bleidenstadt eine Anwohnerbefragung durchzuführen und entsprechend zu beschließen.
Dieter Gesing, Dr. Wolfgang Küper, Werner Wangorsch, Schwalbach, im Namen zahlreicher Anwohner des Rudolf-Dietz-Wegs