1. Juni 2023

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

Mit „Der Fall“ des Nobelpreisträgers Albert Camus liegt jetzt einer der wichtigsten Texte des französischen Existenzialismus in neuer Übersetzung vor. Yasmin Sibai lässt in ihrem Romandebüt „Punked“ eine Utopie implodieren und setzt ihre Protagonistin auf die Spur eines Kriminalfalls, der neues Licht auf ihre Punk-Vergangenheit wirft. Alison Bechdel, die Königin der Graphic Novel, präsentiert mit „Das Geheimnis meiner Superkraft“ ein Werk, das komisch, klug und dazu richtiggehend süchtigmachend ist.

 

„Der Fall“

Im Amsterdamer Hafenviertel legt Jean-Baptiste Clamence, ehemals angesehener Anwalt, eine atemberaubende Beichte ab: Selbstgefälligkeit und Opportunismus seien die eigentlichen Triebfedern seines Rechtsbewusstseins gewesen. Denn als er eines Nachts eine Frau auf einer Brücke stehen sah, im Begriff, in den Fluss zu springen, hat er sie nicht daran gehindert. Seitdem befindet sich sein Leben im freien Fall, und er stellt sich selbst und den anderen Fragen: Warum tut man, was man tut? Warum lebt man, wie man lebt?

Albert Camus wurde am 7. November 1913 als Sohn einer Spanierin und eines Elsässers in Mondovi, Algerien, geboren. Er studierte an der Universität Algier Philosophie, 1935 trat er der Kommunistischen Partei Algeriens bei und gründete im Jahr darauf das „Theater der Arbeit“. 1937 brach er mit der KP. 1938 entstand sein erstes Drama, „Caligula“, das 1945 uraufgeführt wurde, 1947 sein Roman „Die Pest“. Neben seinen Dramen begründeten der Roman „Der Fremde“ und der Essay „Der Mythos des Sisyphos“ sein literarisches Ansehen. 1957 erhielt Albert Camus den Nobelpreis für Literatur. Am 4. Januar 1960 starb er bei einem Autounfall.
 
Albert Camus: „Der Fall“
Übersetzt von Grete Osterwald
Rowohlt Buchverlag, 2023. 128 Seiten, 24 Euro.

 

„Punked“

Der Geruch von Kunstnebel und Schweiß, dröhnende Bässe und besetzte Häuser – ein angepasstes bürgerliches Leben war für Bey, Bassistin einer Avantgarde-Punkband, früher undenkbar gewesen. Nach der Geburt ihres Sohnes wohnt sie jetzt am Rand von Amsterdam, umgeben von gutsituierten Eltern ohne spätjugendliche Exzesse. Als ein kalkweißes Kuvert sie erreicht, gerät ihr Alltag aus dem Takt: Ihr Ex-Freund Iggy ist gestorben. Bey fährt zur Beerdigung nach Berlin, wo sie in Iggys Nachlass eine Tonaufnahme findet, die sie an den Umständen seines Todes zweifeln lässt. Ihre Nachforschungen stoßen auf Widerstand beim Rest der Alt-Punks, und als Karina, ihre verschollen geglaubte Erzfeindin, auftaucht, beginnt ein atemloser Wettlauf um alte Datenträger. Eine ungeheuerliche Wahrheit kommt ans Licht, die alles ins Wanken bringt, woran Bey und ihre Punk-Clique jemals geglaubt haben.

„Punked“ führt in dunkle Kellerclubs der Neunziger und geheime Hackersalons der Zweitausender, streift durch gentrifizierte Stadtlandschaften in Hannover, Berlin und Amsterdam und dringt vor ins schwarze Herz einer lebendigen Subkultur.

Yasmin Sibai wurde in Norddeutschland geboren und zog danach zweiunddreißig Mal um. Sie war Frontfrau einer Punkband und hat als Öko-Bäuerin, Lastwagenchauffeurin, freie
Architektin und DJane gearbeitet. Mittlerweile wohnt sie mit ihrer Familie in Frankfurt am Main und plant keine Umzüge in nächster Zeit. „Punked“ ist ihr Romandebüt.

Yasmin Sibai: „Punked“
Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. 384 Seiten, 26 Euro.

 

„Das Geheimnis meiner Superkraft“

Ihr ganzes Leben lang ist Alison Bechdel einem schwer fassbaren Mysterium auf der Spur, dem Mysterium der übermenschlichen Kraft. Sie hat in ihren Lieblingsbüchern danach gesucht, im Leben ihrer Heldinnen, im Zölibat, in der Polyamorie, im Aktivismus, in der Therapie und vor allem in ihrer lebenslangen Leidenschaft für Sport. Skifahren, Laufen, Karate, Radfahren, Yoga, Gewichtheben – sie hat alles ausprobiert. In diesem Buch zeichnet Alison Bechdel eine vielschichtige und sehr persönliche Geschichte über das Selbst, über Selbstsabotage, Sterblichkeit, Sucht, Glückseligkeit und die Sorgen einer ganzen Generation.

Alison Bechdel, wuchs im ländlichen Pennsylvania auf und zog nach ihrem Collegeabschluss nach New York. Dort begann sie 1983 die Comics „Dykes to Watch Out For“ zu zeichnen, die zunächst monatlich in einer feministischen Zeitschrift erschienen. Heute werden ihre Comics in mehr als fünfzig Zeitschriften veröffentlicht. Bechdels erste Graphic Novel „Fun Home – Eine Familie von Gezeichneten“ erschien 2008 bei Kiepenheuer & Witsch und in 22 anderen Ländern und war ein New-York Times-Bestseller. Das Time Magazine kürte es zum „Buch des Jahres“.

Alison Bechdel: „Das Geheimnis meiner Superkraft“
Übersetzt von Thomas Pletzinger und Tobias Schnettler
Kiepenheuer & Witsch, 2023. 240 Seiten, 30 Euro.

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