Ein Schock war für viele Schwalbacher Fernwärmekunden die Abrechnung für das Jahr 2022, die E.ON Ende November verschickt hat. Der Arbeitspreis für Fernwärme hat sich verdoppelt und einigen stehen Nachzahlungen über mehrere tausend Euro ins Haus. Seither steht das Unternehmen, das bis Ende 2022 das Schwalbacher Fernheizkraftwerk betrieben hat, in der Kritik. Patrick Schneckenburger, Geschäftsführer der E.ON Energy Solutions, erklärt im Interview mit der Schwalbacher Zeitung, die Sicht seines Unternehmens.
Schwalbacher Zeitung: Ende November haben Sie die Abrechnungen für 2022 verschickt und darin vielfach drei- bis vierstellige Nachzahlungen verlangt, die innerhalb von nicht einmal zwei Wochen bezahlt werden sollten. Macht es Ihnen nichts aus, den Schwalbacherinnen und Schwalbacher kurz vor Weihnachten die Konten leer zu räumen, wie es die IG Fernwärme ausdrückt?
Patrick Schneckenburger: Selbstverständlich ist uns bewusst, wie belastend diese Nachzahlungen und die extremen Preisentwicklungen für das Jahr 2022 für den einzelnen sein können. Aber dass durch die Energiekrise die Preise dramatisch steigen werden, zeichnete sich in den Daten des Statistischen Bundesamts seit Mitte 2021 bereits ab. In meinen über 20 Jahren in der Energiewirtschaft habe ich eine solche Entwicklung der Preise an den Großhandelsmärkten so noch nicht erlebt. Und genau darüber haben wir unsere Kunden seit dem Herbst 2021 auch auf unserer Website aktuell informiert.
Schwalbacher Zeitung: Und warum die kurze Zeitspanne von nicht einmal zwei Wochen zwischen Rechnungsversand und Abbuchung?
Patrick Schneckenburger: Die Zeitspanne ergibt sich aus den Zahlungsmodalitäten im Vertrag. Wir sind uns selbstverständlich der besonderen Situation bewusst. Wir lassen aber keinen im Regen stehen: Kunden, die Schwierigkeiten haben, ihre Rechnung zu bezahlen, können wir im gemeinsamen Gespräch Lösungen anbieten. Sie können einfach mit uns Kontakt aufnehmen (Anm. d. Redaktion: E.ON Kundenservice, Telefon 0800/7711821, E-Mail energy.solutions@eon.com). Unsere Unterstützungsangebote finden sie auch im Internet.
Schwalbacher Zeitung: Viele hat die Abrechnung trotz allem kalt erwischt. Können Sie das verstehen?
Patrick Schneckenburger: Dass die Höhe der Preissteigerung wirklich sehr außergewöhnlich ist, steht außer Frage. Einen so starken Preisanstieg auf den Energiemärkten wie in den Jahren 2021 und 2022 haben wir noch nie gesehen. Wir haben mit der Abrechnung 2021 im Herbst 2022 prognostiziert, dass für 2022 mit nochmals steigenden Wärmekosten zu rechnen ist und darauf hingewiesen, dass trotz Erhöhung der Abschlagszahlungen sich hohe Nachzahlungen für 2022 nicht vermeiden lassen werden. Und dringend empfohlen, weitere Vorsorge zu treffen.
Schwalbacher Zeitung: Warum sind die Preise denn so hoch?
Patrick Schneckenburger: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine- und der Wegfall der russischen Gasimporte haben zu historischen Preissteigerungen an den Märkten geführt, die wir so noch nie gesehen haben. Die Fernwärme in Schwalbach wird mit Erdgas erzeugt. Die Kostenentwicklung ist zu 100 Prozent vom Erdgas abhängig. Mittlerweile hat sich alles wieder etwas beruhigt, aber aktuell rechnen wir ja genau das Krisenjahr 2022 ab. Die Entlastungen der Wärmepreisbremse greifen leider erst ab 2023. Wir waren gezwungen, diese dramatische Preisentwicklung an unsere Kundinnen und Kunden weiterzugeben.
Schwalbacher Zeitung: Sie berufen sich dabei auf die vereinbarte Preisänderungsklausel. Die basiert ja zu einem wesentlichen Teil auf dem stark schwankenden Börsenpreis für Gas. Kritiker sagen, dass Sie das Gas über langfristige Lieferverträge tatsächlich viel günstiger eingekauft haben. Was sagen Sie dazu?
Patrick Schneckenburger: Es ist richtig, dass wir langfristige Lieferverträge haben. Damit sichern wir uns die Menge an Erdgas, die wir voraussichtlich brauchen werden, um unsere Kunden zu versorgen. Der Preis, den wir am Ende bezahlen, orientiert sich dann allerdings tatsächlich an den Börsenpreisen. Von daher spiegelt die Preisänderungsklausel in den Verträgen den Einkaufspreis, den wir tatsächlich für das Erdgas bezahlt haben, recht genau wider.
Schwalbacher Zeitung: Sie wollen also sagen, dass Sie von der Preisentwicklung nicht profitiert haben?
Patrick Schneckenburger: Die Preisentwicklung gibt die tatsächliche Kostenentwicklung für Erdgas wieder, auf die wir keinen Einfluss haben. Wir sehen es als unsere Aufgabe, unsere Kunden mit Wärme sicher und zuverlässig zu versorgen. Nicht mehr und nicht weniger. Wir handeln und spekulieren nicht mit Gas. Und nein, wir haben unsere Marge nicht auf Kosten der Kunden ausgeweitet.
Schwalbacher Zeitung: Bei verdoppelten Einkaufspreisen bedeutet eine gleiche Marge aber doppelten Gewinn. Wäre es nicht fair, einen Teil davon an die Kunden weiterzugeben?
Patrick Schneckenburger: Diese Darstellung ist einfach falsch. Doppelte Einkaufspreise bedeuten nicht doppelten Gewinn, sondern doppelten Umsatz. Dieser Umsatz deckt die Einkaufspreise und ist kein Gewinn. Der Gewinn bleibt stabil. Um es also nochmals zu betonen: wir haben unsere Marge nicht ausgeweitet.
Schwalbacher Zeitung: Die Stadt Schwalbach hat trotzdem die Wärmepreise geprüft und erklärt, die Fernwärmepreise in Schwalbach seien viel höher als in anderen vergleichbaren Fernwärmegebieten. Wollen Sie das bestreiten?
Patrick Schneckenburger: Die Preise sind nicht ohne Weiteres vergleichbar und variieren von Versorgungsgebiet zu Versorgungsgebiet, insbesondere abhängig von der Fernwärmeerzeugung. Wird Fernwärme aus Müllabwärme erzeugt, kann das deutlich günstiger und nicht vergleichbar sein mit einer Erdgas-basierten Erzeugung. Daneben kann es technische und topographische Gründe als auch Unterschiede in der Ausgestaltung der Preisformeln geben. Es gibt Fernwärme-Versorger, die zum Beispiel immer auf Basis der Preise des Vorjahres abrechnen. Dann fallen die Rechnungen für das Jahr 2022 natürlich deutlich niedriger aus, denn die Preiserhöhung kommt dann eben mit einem Jahr Verzögerung an.
Schwalbacher Zeitung: Was genau fordert die Stadt von Ihnen und wie gehen Sie damit um?
Patrik Schneckenburger: Die Stadt Schwalbach wacht über die Einhaltung der Verträge und wir erfüllen sie. Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die Auslegung der Verträge, aber wir arbeiten an einer einvernehmlichen, gemeinsamen Lösung.
Schwalbacher Zeitung: Fürchten Sie, dass die Stadt den Erbpachtvertrag für das Heizkraftwerk in der Adolf-Damaschke-Straße vorzeitig kündigen könnte?
Patrick Schneckenburger: Wir wollen im Gespräch bleiben. Süwag Grüne Energien wird als neuer Partner die langjährigen guten Geschäftsbeziehungen fortsetzen.
Schwalbacher Zeitung: Neben der Stadt Schwalbach kritisieren auch der Verbraucherzentrale Bundesverband Ihre Preisanpassungsformel und das Bundeskartellamt hat ein Verfahren eingeleitet. Was sagen Sie dazu?
Patrick Schneckenburger: Ich kann nur wiederholen, dass unsere Verträge den geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen folgen und die Preisänderungsklauseln den rechtlichen Vorgaben entsprechen. Sie spiegeln auch die Realität unserer Einkaufspreise wider. Daher sehen wir den Untersuchungen gelassen entgegen. Und im Übrigen wirkt die Preisänderungsklausel ja auch in die andere Richtung – wie die Jahre vor 2021 gezeigt haben und wie wir dies für das Jahr 2023 ebenfalls erwarten.
Schwalbacher Zeitung: Das heißt, die Preise für das Jahr 2023 werden deutlich niedriger ausfallen?
Patrick Schneckenburger: Das Jahr ist natürlich noch nicht zu Ende. Aber so wie die Preisentwicklung bisher aussieht, werden die Schwalbacherinnen und Schwalbacher für dieses Jahr mit einer deutlichen Entspannung rechnen können.
Schwalbacher Zeitung: Was halten Sie dann von dem Vorschlag der Stadt Schwalbach, die Rechnungstellung für das Jahr 2022 und damit die hohen Nachzahlungen erst einmal auszusetzen?
Patrick Schneckenburger: Das können wir allein schon von Gesetzes wegen nicht, weil wir vertraglich zur Abrechnung verpflichtet sind. Im Übrigen würde das ja auch an den Tatsachen nichts ändern. Das Jahr 2022 war das Jahr der Energiekrise. Wir haben die Versorgungssicherheit trotz ausgerufener Alarmstufe des Notfallplans Gas gewährleisten können. Wir haben alles getan, um unsere Kunden sicher und zuverlässig mit Wärme zu versorgen. Die Preisindexierung in unseren Verträgen spiegelt die Entwicklungen an den Großhandelsmärkten und unsere Kosten direkt wider.
Schwalbacher Zeitung: Viele Fernwärmekunden sind nicht in der Lage, die hohen Nachzahlungen zu bewältigen. Was sollen sie tun, wenn sie das Geld für die Nachforderung einfach nicht haben?
Patrick Schneckenburger: Wir wissen, dass die Abrechnungen für das Jahr 2022 unseren Kunden Schwierigkeiten bereiten und besondere Belastungen darstellen. Daher versuchen wir für jeden Kunden eine Lösung zu finden. Wichtig ist, dass sich Kunden, die Zahlungsschwierigkeiten haben, bei uns melden, damit wir eine passende Zahlungsvereinbarung schließen können.
Schwalbacher Zeitung: Angesichts der aktuellen Preise haben viele in Schwalbach Zweifel, ob Fernwärme immer noch das richtige Konzept für die Limesstadt ist. Können Sie das nachvollziehen?
Patrick Schneckenburger: Dass die Belastungen des Krisenjahres in 2022 als extrem wahrgenommen werden, kann ich nachvollziehen. Dennoch treffen diese Belastungen alle Energiekunden in Deutschland – an der Tankstelle, bei der Heizölrechnung, bei der Anpassung des Gasliefervertrages. Nach vorne gerichtet ist die Fernwärme eine extrem effiziente und klimafreundliche, zentrale Erzeugung und leistet so einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende. Viele Gaskunden, deren Therme defekt ist, wissen derzeit nicht, auf welche Alternative sie setzen sollen und was zukunftsgerecht ist. Die Fernwärme ist zukunftssicher. So kann hier in Schwalbach langfristig zum Beispiel die Abwärme der geplanten Rechenzentren am Kronberger Hang genutzt werden, wodurch der ganze Stadtteil viel klimafreundlicher beheizt werden könnte. Und ich bin auch überzeugt, dass „Süwag Grüne Energien“ der richtige Partner ist, um das Schwalbacher Fernwärmenetz in diese Zukunft zu führen.
Schwalbacher Zeitung: Vielen Dank für das Gespräch.
Wo bleibt denn die Abrechnung 2022.??????
Gasbezug und die Preisformel fallen mit dem Eintritt von EON in das Fernheizwerk zusammen.
EON hat in der Versammlung im Bürgerhaus im Dezember 2022 erklärt, dass sie den Gasbezug über eine Tochter von SachsenEnergie organisieren. Diese bietet in der Tat einen am aktuellen Marktpreis orientierten Liefervertrag an.
Ob die Schwalbacher Fernwärmekunden hier womöglich für einen Kollateralschaden der Marktbereinigung in Sachsen zahlen müssen wäre zu prüfen.
Unternehmerische Entscheidungen dieser Art sollten keinen Bestand haben. Die „Hessenklausel“ im Vertrag zum Betrieb des Fernheizwerks macht somit durchaus Sinn und hätte bei der Einkaufsstrategie und der Preisformel berücksichtigt werden sollen.
https://www.saechsische.de/wirtschaft/energie/saechsische-energieversorger-klagen-gegen-eon-und-rwe-5368978-plus.html