19. März 2024

„Der Untergang des Hauses Usher“ war ein etwas anderer Theaterabend

Kulturkreis ließ die Puppen tanzen

Nach der Vorstellung standen Sebastian Kautz (links) und Gero John (rechts) mit ihren Puppen und Instrumenten für Fragen und Fotos zur Verfügung. Foto: Ludwig

Am Samstag begrüßte Haupt-Darsteller Sebastian Kautz pünktlich um 18.45 Uhr sein interessiertes Publikum im Bürgerhaus und bereitete es auf eine Puppentheater-Aufführung vor.

Wie gut, dass es wieder eine Einführungsveranstaltung gab. Puppentheater für Erwachsene – das klingt ja schon einmal ungewöhnlich. Neben Edgar Allan Poes Schauergeschichte hat Kautz‘ kleine Theatergruppe Bühne Cipolla inzwischen eine ganze Reihe literarischer Erzählungen unterschiedlichster Länge in Theaterstücke umgeschrieben und mit Puppen und Menschen inszeniert. Angefangen hatte es vor über zwanzig Jahren mit der Adaption von Thomas Manns „Mario und der Zauberer“. In der Novelle kommt ein Magier namens Cipolla vor, nach dem sich das Figurentheater benannt hat.
Im Schwalbacher Bürgerhaus wurde am Samstag „Der Untergang des Hauses Usher“ gegeben, das 2018 erstmals aufgeführt wurde. Auf der Bühne gibt es nur zwei Menschen. Gero John ist für die Musik zuständig und ergänzt sein klassisches Violoncello durch E-Cello, Keyboards und Wavedrum. Sein Part ist mehr als musikalische Untermalung. Die Musik spielt in Poes Kurzgeschichte eine wichtige Rolle, kann doch der empfindsame todkranke Roderick Usher so gut wie keine Geräusche ertragen – außer Geigenklängen.
Neben Musiker Gero John gibt es einen lebendigen Schauspieler: Sebastian Kautz. Der spielt nicht nur den Besucher und langjährigen Freund des Hausherrn Roderick, sondern führt gleichzeitig grandios verschiedene Puppen durch das gelungene gespenstische Bühnenbild, das mit wenig Requisiten viele Bilder und Assoziationen möglich macht. Öffnet hier womöglich gleich der bucklige Butler aus der Rocky Horror Picture Show die knarrende Haustür von Norman Bates‘ unheilvollem Hotel?
Die wichtigste Puppe ist die, die den dahinsiechenden Roderick – im wahrsten Sinne des Wortes – verkörpert. Ein trauriger, schlaffer, weißer Körper eines Todkranken, manchmal fast nackt, manchmal schnell und unbeholfen vom besorgten Besucherfreund in ein Kleidungsstück verpackt. Gemeinsam mit seiner geheimnisvollen und gleichfalls kinderlosen Zwillingsschwester Madeline ist Roderick der letzte Spross des Hauses Usher.
Der gebürtige US-Amerikaner Edgar Allan Poe lebte als Kind mit seinen Pflegeeltern einige Jahre in England und Schottland, ging dort zur Schule und kam im Jahrhundert der Industrialisierung mit der anachronistischen Welt des Adels in Kontakt. Jahrzehnte später hat Poe das zu seiner Schilderung eines untergehenden Geschlechts mit all seiner Dekadenz und Degeneration und Lebensunfähigkeit inspiriert. „The Fall of the House of Usher“ wurde 1839 veröffentlicht.
Sebastian Kautz, Gero John und die Puppen, die Masken- und Kostümbildnerin Melanie Kuhl gestaltete, erzählen nicht Poes komplette Schauergeschichte, sie faszinieren mit der ausweglosen Atmosphäre seiner Untergangsstimmung. Das funktioniert. Das beeindruckt. Das hinterlässt aber auch Ratlosigkeit. Denn wer den Ehrgeiz hat, die Handlung zu verstehen, sollte sich zuvor ein wenig eingelesen haben. Oder danach. Mit Sicherheit haben etliche Zuschauer und Theaterbesucherinnen später zu Hause in ihren Bücherregalen nach einer passenden Poe-Ausgabe oder Schauerliteratur-Sammlung gefahndet. Dazu noch ein Tipp: Es gibt mehrere gute Verfilmungen sowie auf Netflix aktuell die gleichnamige Horror-Serie aus dem Jahre 2023 in acht Folgen.
Die Novelle „Der Untergang des Hauses Usher“ zeigt auffällige Parallelen zu einem anderen deutschen Schriftsteller: „Das Raubschloss“ von Heinrich Clauren erschien 1812. Schön, wenn ein aus Prosa entstandenes Drama, das pausenlos bereits um 20.44 Uhr mit höflichem Applaus zu Ende ist, zu weiteren Beschäftigung mit Literatur inspiriert.
Seitens unseres Kulturkreises war es auf jeden Fall eine mutige Entscheidung, auch einmal etwas Neues auszuprobieren und einem Figurentheater einen Platz im Spielplan zu überlassen. red

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