26. Juli 2024

Leserbrief

„Trauerspiel, das noch lange nachwirken wird“

Zum Artikel „Neue Straßennamen stehen fest“ erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief von Günter Pabst. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.

Mit der Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurde nun endlich ein Schlussstrich unter das Trauerspiel gezogen. Rudolf-Dietz-Weg und Julius-Brecht-Str. werden durch Nelly Sachs und Johanna Tesch, beide ehrenwerte Persönlichkeiten, ersetzt.

In einem Schreiben an die Fraktionen vom 5. Mai 2024 habe ich die Fraktionen gebeten, doch auf die Anwohner zuzugehen. Keine Fraktion hat geantwortet. Das ist nicht nur schlechter Stil. Aber es setzt das Verhalten gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, wie es in den vergangenen Jahren gehandhabt wurde, fort. Keine Fraktion hat weder auf die Briefe der Anwohnerinnen und Anwohner reagiert, noch das persönliche Gespräch gesucht. Eine Missachtung nicht nur der Betroffenen, sondern auch eine Verleugnung ihrer Wahlprogramme, in denen der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger das Wort geredet wird.

Hätte der damalige Stadtverordnetenvorsteher Eyke Grüning den Antrag der Grünen vom 6. August 2019 nicht verschleppt, hätte er den Antrag damals im Stadtparlament auf die Tagesordnung gesetzt, wäre der Antrag auf Umbenennung des Rudolf-Dietz-Wegs abgelehnt worden. Die damalige SPD-Fraktion (Legislaturperiode 2017 – 2021) war gegen eine Umbenennung.

Übrigens, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wollte schon damals keine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Entscheidung über die Umbenennung. Großzügig wurde ihnen eine Beteiligung an der neuen Namensfindung zugestanden.

Die Missachtung setzte sich in allen Phasen der Diskussion fort. Selbst die Bürgerversammlung am 21. März 2023 führte nicht zum Umdenken. Auch der Vorschlag der Betroffenen, den Dr. Wolfgang Küper noch vor der Entscheidung im Stadtparlament einreichte, wurde empört bei Seite geschoben.
Der politisch-moralische Rigorismus feierte Triumphe. Dabei ist mittlerweile auch die Diskussion unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der „Erinnerungskultur“ fortgeschritten. Davon wollen die Schwalbacher SPD-Fraktion und Bündnis90/Die Grünen aber nichts wissen.

Damit wurde auch die einmalige Chance vertan, am Beispiel dieser Straßennamen, deutlich zu machen, wie in der Nachkriegszeit mit der Bewältigung der Nazivergangenheit umgegangen wurde, wie damals Anhänger der Nazi-Ideologie gelernt und sich geändert haben.

Würde man den Schwalbacher moralischen Rigorismus auf die Bundesrepublik anwenden, würden reihenweise Namen zu ändern sein: Martin Luther, Otto von Bismarck, Richard Wagner, Konrad Adenauer, um nur vier bedeutende Persönlichkeiten zu nennen.

Die Schwalbacher Entscheidung, ohne die Bereitschaft zu einem Kompromiss, bleibt ein Trauerspiel und wird noch lange nachwirken. Günter Pabst, Schwalbach

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