Am 21. September war es wieder so weit, im Bürgerhaus hieß es „Bühne frei für die neue Spielzeit“. Den Auftakt machte Theaterlust, ein Ensemble, das dem Schwalbacher Publikum bereits aus anderen Produktionen bekannt ist und in der vergangenen Spielzeit mit der französischen Kriminalkomödie „Acht Frauen“ gastierte.
Wie „Acht Frauen“ so wurde auch „Eingeschlossene Gesellschaft“ erfolgreich verfilmt. Dass die Komödie erst im Juli im ARD-Sommerkino im Fernsehen gezeigt worden ist, tut dem Interesse an der Theaterlust-Aufführung keinen Abbruch. Mit 140 Minuten Spieldauer ist die Inszenierung von Ensemble-Leiter Thomas Luft auch deutlich länger als die Kinoproduktion, und aufmerksame Zuschauerinnen und Zuschauer konnten sich über Passagen freuen, die im Film und Fernsehen nicht vorkamen.
Leider ist die Verfilmung von Sönke Wortmann zur Zeit nicht mehr in der ARD-Mediathek zu finden. Umso besser, dass es das, was das „Sofa-Kino“ momentan nicht bieten kann, im Theater gibt: Das unterhaltsame Drama stammt aus der erfolgsverwöhnten Feder von Jan Weiler, der durch seine humorvollen Zeitungskolumnen sowie den Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ berühmt wurde. Weilers Stück wird völlig zu Recht als „pointierte Komödie“ bezeichnet, sind doch die Dialoge ein wahres Feuerwerk an Überraschungen, Wendepunkten und Gags.
Die Geschichte spielt in einem Lehrerzimmer, aus Sicht geplagter Pädagogen im Idealfall ein abgeschotteter Raum, in dem Schulkinder und deren Eltern nichts zu suchen haben, ein sicherer Rückzugsort zum Arbeiten und Meinungsaustausch, aber auch für dringend notwendige Verschnauf- und Kaffeepausen. Auf der Bühne befinden sich zwei Lehrerinnen sowie vier männliche Kollegen und bereiten sich mehr oder weniger auf ihren Feierabend vor. Es ist Freitag, und das Wochenende steht vor der Tür.
Zu Beginn der Aufführung grenzt Bühnenbildnerin Sarah Silbermann – die auch für die Kostüme zuständig ist – diesen Schauplatz durch eine riesige offene Regalwand am vorderen Bühnenrand vom Zuschauerraum ab. Das symbolisiert die „Eingeschlossenheit“ und bietet außer der Räumlichkeit verschiedene originelle Spielmöglichkeiten. So kann man zum Beispiel so tun, als wären die großen quadratischen Öffnungen die Fenster des Schulgebäudes, aus denen man hinausschauen kann.
Doch dieser nette Gag hatte seinen Preis – zumindest war dies im Schwalbacher Bürgerhaus der Fall: Die Regale störten die Sicht. Von vielen Plätzen aus konnte man nicht erkennen, was auf der Bühne passierte. Und das war, vermute ich, doch einiges.
Zwar hat Jan Weiler sein Drama vor sechs Jahren ursprünglich als Hörspiel konzeptioniert, aber wer ins Theater geht, der will was sehen. So waren nach den ersten zehn Minuten zahlreiche Seufzer der Erleichterung zu vernehmen, als sich die Regalelemente endlich zur Seite bewegten und den Blick auf die Bühne freigaben. Und was hier geboten wurde, lohnte sich doch sehr.
Jeder der sieben Schauspieler war großartig, allen voran Anja Klawun, die die spießige, altjüngferliche, strenge und missgünstige Musiklehrerin Heidi Lohmann mit größter Überzeugungskraft – aber ohne Übertreibung – spielte. Der Gefahr, die mit spitzer Feder charakterisierten, unterschiedlichen Lehrertypen zur Karikatur werden zu lassen, ist erfreulicherweise niemand aufgesessen. Gemeinsam mit ihrem gleichfalls älteren Kollegen Klaus Engelhardt versprüht Heidi Lohmann ihr Gift und gönnt weder ihren Schülern noch dem Kollegium Spaß und Freude. Ganz besonders junge, hübsche Frauen ziehen ihren Hass auf sich. So ist es kein Wunder, dass sie vor allem die attraktive Junglehrerin Bettina Schuster triezt. Der selbstbewusste Neuling im Kollegium wird von Marget Flach gespielt, die auch eine der „Acht Frauen“ war. Ihrer perfekten Darstellung taten auch zwei Versprecher keinen Abbruch.
Geradezu bösartig ist Lateinlehrer Engelhardt, der seinen Beruf zu verabscheuen scheint und mit seiner schlechten, ungerechten und kleinlichen Benotung eines Oberstufenschülers das ganze Drama auslöst. Grandios dargestellt von Felix Eitner, der seit drei Jahrzehnten zahlreiche Fernsehrollen spielt und unter anderem durch „Polizeiruf“ und „Alles Klara“ bekannt wurde.
Benjamin Hirt verkörpert den freundlichen Holger Arndt, der beflissen immer zwischen allen vermitteln und Frieden schaffen möchte. Schließlich ist er Vertrauenslehrer. Doch wie alle Figuren der „eingeschlossenen Gesellschaft“ verbirgt auch Arndt ein dunkles Geheimnis, hat er doch mit schmutzigen Tricks, Bestechung und Erpressung einen Konkurrenten auf der Karriereleiter aus dem Rennen geworfen – wie sich herausstellt. Hirt legt seine Lehrerfigur sehr körperlich an und zeigt dessen Zerrissenheit zwischen Deeskalation und Aggression durch anfallartige Aussetzer, bei denen er sich immer wieder selbst zur Ruhe zwingen muss.
Auch die beiden anderen Lehrer sind tragische Figuren: Johannes Schön spielt den bedauernswerten Chemielehrer Bernd Vogel, einen wahrhaft schrägen Vogel mit einem Faible für Nacktfotos seiner Schülerinnen. Im Stück verwandelt sich Schön vom lässigen Naturwissenschaftler in einen abstoßenden Jammerlappen und zieht hier alle Register der Schauspielkunst.
Anders als der verklemmte Vogel gibt sich Sonnyboy-Sportlehrer Peter Mertens, sehr treffend dargestellt von Oliver Mirwaldt, nicht mit Fotos seiner Schülerinnen zufrieden und wurde wegen einer anstößigen Liebschaft schon einmal strafversetzt.
Alle müssen im Laufe der Handlung „die Hosen runterlassen“ und werden mit einem mehr oder weniger dicken schwarzen Flecken auf der vormals weißen Weste konfrontiert! Das ist spannend und ausgesprochen unterhaltsam.
Und wer ist schuld an all den Anklagen und Beichten? Der einzige Nicht-Lehrer: Konstantin Moreth gibt den verzweifelten Vater des ungerecht behandelten Schülers Fabian. Bewaffnet stürmt er das Lehrerzimmer, um die Anwesenden in eine Art Geiselhaft zu nehmen. Er will sie zwingen, eine Konferenz abzuhalten und seinem Sohn den fehlenden Punkt für die Zulassung zum Abitur zu geben. Und auch Moreth spielt das großartig. Aus dem geschützten Raum des Lehrerzimmers wird durch den Eindringling ein Ort der Angst und Gewalt, aber auch der Aussprache – und ein Gefängnis.
Die freche, kurzweilige Komödie hebt sich vom Boulevardtheater ab und ist eine gute Wahl und Ergänzung für einen abwechslungsreichen Spielplan ist. red