Für große Aufregung sorgt zurzeit eine Online-Petition, die Eltern von Kindern aus der katholischen Kita St. Martin gestartet haben. Darin wird gefordert, dass der „strukturelle Machtmissbrauch“ in der Einrichtung der katholischen Kirchengemeinde „umgehend“ aufhören muss.
739 Personen hatten bis gestern Nachmittag die Petition auf der Plattform change.org unterzeichnet, wobei die meisten Unterzeichner selbst keine Kinder in der Kindertagesstätte in der Badener Straße haben. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Versetzung einer beliebten Erzieherin nach Bad Soden nach einem Vorfall, bei dem sie gegen mutmaßlich „grenzverletzendes Verhalten“ der Kita-Leiterin eingeschritten ist. Die Eltern sprechen von einer „Täter-Opfer-Umkehr“. Die Kita-Koordinatoren, die für alle sieben Einrichtungen der Katholischen Pfarrei Heilig Geist am Taunus zuständig sind, bestreiten allerdings, dass die Versetzung etwas mit dem Vorfall zu tun hat. Die Versetzung sei erfolgt, weil die Mitarbeiterin beim Neuaufbau des Teams in Bad Soden helfen soll. Ansonsten wollten sie sich nicht zu Personalangelegenheiten äußern.
Das „grenzverletzende Verhalten“ beschreiben die Initiatoren der Petition mit „am Arm packen und zerren“, „Toilettenverbote“, „an den Schultern packen und schütteln“ und „am Nacken packen“. Anlass ist häufig der so genannte „Koste-Klecks“, auf den die langjährige Leiterin der Kita offenbar großen Wert legt. Danach müssen alle Kinder vom Mittagessen probieren, auch wenn sie es nicht essen wollen. Kinder, die sich weigern, werden nach Angaben von Eltern und Erzieherinnen bis zu 45 Minuten gezwungen, am Tisch sitzen zu bleiben. Das soll immer wieder zu Tränen und zu Verängstigungen bei den Kindern führen. Ein sechsjähriger Junge soll sich im Sommer sogar am Tisch erbrochen haben, nachdem er zum Essen gezwungen worden war.
Auch zur Toilette dürfen die Kinder zum Beispiel während der Ruhezeit nicht gehen, auch wenn sie müssen. Einen Jungen soll die Kita-Leiterin so lange am Toilettengang gehindert haben, bis dieser sich eingenässt hat.
In einem mehrseitigen Dossier listen Erzieherinnen und Eltern der Kita fast 20 Vorfälle allein aus den Jahren 2023 und 2024 auf. Immer wieder geht es um die Themen Toilette und Mittagessen. Außerdem wird der rüde Umgangston in der Kita thematisiert. So soll die Kita-Leiterin Kinder, Eltern und auch andere Erzieherinnen angeschrien haben.
Mit der Petition wollen einige Eltern die aus ihrer Sicht unhaltbaren Zustände in der Kita St. Martin öffentlich machen. Sie haben darüber hinaus Beschwerden an das Bistum Limburg und das Jugendamt des Main-Taunus-Kreises verfasst und auch das Jugendamt der Stadt Schwalbach informiert. Ein Gesprächsangebot von Pfarrer Alexander Brückmann, der als Vorsitzender des Verwaltungsrats der Kirchengemeinde die Personalverantwortung hat, haben die betroffenen Eltern allerdings ausgeschlagen. Pfarrer Brückmann hat derweil die Flucht nach vorn angetreten und am vergangenen Freitag in einem Schreiben an die Eltern erklärt, dass er die Vorwürfe „mit großer Betroffenheit“ zur Kenntnis genommen habe. „Wir möchten betonen, dass wir jegliche Form von grenzverletzendem Verhalten, egal ob physisch oder psychisch, in unserer Kita unter keinen Umständen dulden“, schreibt er in seiner Stellungnahme. Alexander Brückmann kündigt eine „sorgfältige Überprüfung und Analyse der internen Strukturen, der Arbeitsabläufe und der pädagogischen Konzepte“ an.
Die betroffenen Eltern indes glauben ihm nicht, denn schon vor drei Jahren kam es zu ähnlichen Vorfällen in der Kita St. Martin, die seinerzeit ebenfalls für viel Aufregung sorgten. Die Vorfälle aus dem Jahr 2021 sind zwar einer breiteren Öffentlichkeit verborgen geblieben, grundsätzlich häuften sich aber auch damals Beschwerden über die Kita-Leiterin und ihren Umgang mit den Kindern und dem Personal. Auch damals waren sowohl das Bistum als auch das Jugendamt des Kreises eingeschaltet. Es gab eine so genannte Supervision in der Kita und Schulungen. Geändert hat sich offenbar aber nur wenig.
Die Stadt Schwalbach, die den größten Teil der Kosten der Einrichtung bezahlt, ist mittlerweile ebenfalls auf die Petition aufmerksam geworden. „Den in der Petition beschriebenen Sachverhalt nehmen wir ernst und halten eine vollständige Aufklärung für unabdingbar“, sagt Brigitte Wegner, eine der Leiterinnen des Sozial- und Jugendamts auf Anfrage der Schwalbacher Zeitung. Bei der katholischen Kirchengemeinde habe man eine Stellungnahme eingefordert. Grundsätzlich würde die Stadt bei Bekanntwerden solcher Vorfälle diese umgehend prüfen und gegebenenfalls das Jugendamt des Kreises informieren. Außerdem stünde die Stadt den Freien Trägern unterstützend zur Verfügung. „Das Sozial- und Jugendamt der Stadt Schwalbach ist aber weder Dienst- noch Fachaufsicht der Freien Träger“, heißt es aus dem Rathaus.
Wie die Sache weitergeht, ist zurzeit offen. Die versetzte Erzieherin befindet sich im Krankenstand, die Eltern sind aufgebracht und die Kita-Koordinatoren haben bei einem Gespräch mit Elternvertretern wissen lassen, dass sie die Petition rechtlich prüfen lassen wollen, da diese tendenziös und diffamierend geschrieben sei. Außerdem wiesen sie auf rechtliche Risiken hin, die jeder Unterzeichner eingehen würde. MS