Schwalbach (cl). Begeistert feierte das Schwalbacher Publikum am Samstagabend die fast ausverkaufte Aufführung von „Spatz und Engel“ im Bürgerhaus.
Der „Spatz“, das ist natürlich Édith Piaf, die berühmteste Chanteuse Frankreichs. „Piaf“ ist das französische Wort für den kleinen unscheinbaren Vogel mit der kräftigen Stimme. Die junge Sängerin Édith Giovanna Gassion hatte diesen passenden Künstlernamen von ihrem Entdecker Louis Leplée bekommen. Der „Engel“ ist die göttliche Marlene Dietrich, von vielen als der größte Star bezeichnet, den Deutschland im vergangenen Jahrhundert hervorgebracht hat. Mit dem Filmklassiker „Der blaue Engel“ gelang der jungen Schauspielerin 1930 der Durchbruch.
Im Bühnendrama, in dem die beiden Berühmtheiten aufeinandertreffen, ist Marlene tatsächlich ein Engel – ein Engel für die kleine Französin, mit der es das Schicksal trotz grandioser Stimme und großer Karriere alles andere als gut gemein hat. Vieles, was das Theaterstück erzählt, hat sich auch zugetragen. Dietrich war in den USA schon ein großer Star, als sie Piaf bei ihrem holprigen Start und ersten Flop in New York unter die Arme griff. Seitdem waren die beiden Freundinnen. Ob sie tatsächlich eine Liebesaffäre hatten, ist nicht sicher. Doch zumindest Marlene Dietrich hat stets mit ihrer Bisexualität kokettiert. Tatsächlich war Dietrich 1952 Piafs Trauzeugin für eine kurze Ehe mit dem Sänger Jacques Pills.
Die Wiener Schauspielerin und Sängerin Susanne Rader verkörperte die Berliner Diva am Samstag perfekt und zeigte – entgegen deren bekannten Image des unterkühlten blonden Vamps – eine durchaus emotionale und liebevolle Marlene. Das machte ihr Spiel so spannend. „Die Piaf“ und „die Dietrich“ – unterschiedlicher könnten zwei Frauen und Theaterfiguren nicht sein: Auf der einen Seite die französische Sängerin, die sich aus der Unterschicht hochgearbeitet hat, als verwahrlostes Kleinkind Hunger litt und später bei der Großmutter in einem Bordell aufwuchs. Auf der anderen Seite die preußische Beamtentochter mit den legendären langen Beinen, die im Internat die privilegierte Ausbildung einer höheren Tochter genoss, klug und schön war „von Kopf bis Fuß“. Disziplin und Zuverlässigkeit prägten ihre Karriere, während Piaf, die 1958 nach einem folgenschweren Autounfall mehrmals operiert werden musste, danach für den Rest ihres Lebens unter Morphiumsucht litt. Dem Alkohol sprachen jedoch beide Frauen zu.
Die gebürtige Niederländerin Heleen Joor verwandelte sich auf sehr berührende Weise in die Figur der Piaf, zeigte deren Leidenschaft, Freude, Trauer, Zerrissenheit, Verzweiflung und körperliche Gebrechen. Beide Darstellerinnen brillierten nicht nur durch ihre Schauspielkunst, sondern vor allem auch durch ihre perfekten Gesangseinlagen. Faszinierend gelang Joor das rauchige unverwechselbare Timbre der legendären Chansonsängerin. Auf den anhaltenden Applaus reagierten die Künstlerinnen mit willkommenen Zugaben.
Für die musikalische Begleitung zeigten sich Markus Herzer (Klavier) und Vassily Dück (Akkordeon) verantwortlich. In mehreren Nebenrollen waren Arzu Ermen und Steffen Wilhelm zu sehen. Besondere Freude an ihrer Arbeit hatte wahrscheinlich Kostümbildnerin Ulla Röhrs, durfte sie doch neben dem einfachen, aber eleganten „kleinen Schwarzen“ für Piaf in Marlene-Outfits geradezu schwelgen und vom berühmten perlenbesetzten Auftrittskleid mit Stola über die sprichwörtliche Marlene-Hose auch deren Faible für Frack und Anzüge aufgreifen. Beispielhaft für eine wunderbar unterhaltsame Inszenierung von Daniel Große Boymann, in der mehr als die Stimmen stimmten.