Das 18. Polnische Kaleidoskop startete im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit mit einem kleinen Schwerpunkt zur Oper „Die Passagierin“, die derzeit in der Oper Frankfurt wieder gespielt und am 18. März vom Arbeitskreis Städtepartnerschaft Olkusz-Schwalbach besucht werden wird.
Der renommierte Berliner Pianist Jascha Nemtsov begeisterte am 18. Februar im Kirchenraum der evangelischen Limesgemeinde mit Werken von Mieczysław Weinberg und seinen jüdischen Warschauer Zeitgenossen. Mieczysław Weinberg komponierte die Oper nach der Novelle „Die Passagierin“ von Zofia Posmysz. Sein großartiges Werk durfte aber in Russland und Polen nicht aufgeführt werden. Erst 2010 erfuhr die Oper bei den Bregenzer Festspielen ihre Uraufführung.
Ein Vortrag mit Lesung widmete sich am Montag vergangener Woche der Autorin Zofia Posmysz. Während Mieczysław Weinberg posthum für seine wunderbare Musik beachtliche Anerkennung erfuhr, blieb Zofia Posmysz im Hintergrund, wie Gabriele Lesser, Journalistin aus Warschau, in ihrem Vortrag berichtete. Die Musik stand 2010 im Vordergrund. Gabriele Lesser interviewte damals die Schriftstellerin für die österreichische Zeitung „Standard“ und zeichnete in ihrem Vortrag am Montag vergangener Woche in der evangelischen Limesgemeinde ihren Lebensweg nach.
Geboren wurde Zofia Posmysz am 23. August 1923 in Krakau. Sie erlebte eine behütete Kindheit in einer Eisenbahnersiedlung. Ihre Eltern waren einfache Leute. Ihr Vater war Eisenbahnheizer. Dennoch ermöglichten sie ihr den Besuch des Gymnasiums. Der brutale Einschnitt in ihrem Leben kam mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Krakau, als sie das Gymnasium verlassen musste, aber weiterhin die inzwischen organisierte Untergrundschule besuchen konnte.
Dann kam der 15. April 1942, der Tag an dem sich ihr Leben grundlegend änderte, wie für viele Polen und insbesondere für viele Polen jüdischen Glaubens. Deutsche in Zivil – wahrscheinlich die Gestapo – ließen eine Geheimklasse der Untergrundschule hoch gehen und verhafteten alle polnischen Jugendlichen, darunter Zofia Posmysz. Obwohl sie keine Zeitung bei sich trug, wurde sie beschuldigt, die Untergrundzeitung „Bialy Orzel“ verteilt zu haben.
Nun begann ihr Leidensweg, zuerst im Gefängnis Montelupich in Krakau und danach in verschiedenen Konzentrationslagern. Sie kam dann ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und überstand dort Thypus, Ruhr und Mangelernährung. Von dort musste sie auf den Todesmarsch ins KZ Ravensbrück, wo sie am 2. Mai 1945 von der US-Armee befreit wurde.
Nach dem Krieg studierte sie an der Universität Warschau und arbeitete bei Radio Polen als Kulturredakteurin. „Die Passagierin“ erschien 1962 zuerst als Hörspiel und war für Andrzej Munk die Vorlage für seinen Film „Pasażerka“ und für Mieczysław Weinberg für seine Oper.
Die Frankfurter Schauspielerin Claudia Niemann verstand es mit ihrer Lesung aus dem Buch „Die Passagierin“ eindringlich in die Geschichte einzuführen. Lisa, die ehemalige KZ-Aufseherin, will auf dem Dampfer nach Brasilien die ehemalige Insassin Marta erkannt haben und erinnert sich immer mehr an ihr damaliges Handeln, dass sie dann auch ihrem Mann, Walter, einem deutschen Diplomaten, gestehen muss. Zofia Posmysz Sprache, berührt, lässt die Zuhörer teilhaben an den brutalen Geschehnissen im Lager und den Beziehungen zwischen den Handelnden. Cornelia Niemanns Stimme verstärkte den Sog, den die Schilderung auf die Zuhörer ausübte, und zog sie in die Geschichte hinein.
Für Gabriele Lesser ist Zofia Posmysz eine Schriftstellerin, deren Bücher bisher viel zu wenig Beachtung gefunden haben. Neben der „Passagierin“, das 1969 ins Deutsche übersetzt wurde, erschien in Deutschland noch 2009 „Ein Urlaub an der Adria“ und 2014 „Befreiung und Heimkehr“. In allen drei Büchern beschäftigte sich Zofia Posmysz mit ihrer Zeit im Konzentrationslager, aus unterschiedlichen Perspektiven.
Der polnische Dichter Zbigniew Herbert habe sie, so Zofia Posmysz in einem Gespräch 2015 in Frankfurt, gedrängt zu schreiben. Sie sei nicht gerettet worden, um zu leben, sondern um Zeugnis zu geben. Diese Aufgabe nimmt sie bis ins hohe Alter war. So sagte sie 2013 bei einer Aufführung in Karlsruhe: „Vergessen darf man nie, aber man muss vergeben.“ Im Alter von 92 Jahren nahm sie 2015 den Dialogpreis der Deutsch-Polnischen Gesellschaften in Bonn entgegen. Alle, die an der Verleihung teilgenommen hatten, so auch Günter Pabst, Vorsitzender des Arbeitskreises Städtepartnerschaft Olkusz-Schwalbach, waren beeindruckt von der starken Ausstrahlung Zofia Posmyszs und ihrer klaren Sprache. red