So viele Besucher wie noch nie kamen gestern zum diesjährigen Neujahrsempfang der Stadt ins Bürgerhaus. Die rund 400 Stühle reichten nicht aus, so dass noch weitere Sitzgelegenheiten in den großen Saal getragen werden mussten.
Für den großen Andrang gab es zwei Gründe: Zum einen sprach mit Privatdozent Dr. habil. Timur Sevincer erstmals ein Festredner, der in Schwalbach aufgewachsen ist. Zum zweiten war es der letzte Neujahrsempfang für Bürgermeisterin Christiane Augsburger (siehe Bericht „Kandidaten verdienten Respekt und Anerkennung“).
Der Vortrag von Timur Sevincer passte wie kaum ein zweiter zum Anlass. Denn „Die Psychologie des Zukunftsdenkens“ war mehr als nur eine Einführungsvorlesung für Psychologiestudenten. Der Vortrag befasste sich mit der jährlich wiederkehrenden Frage, wie man seine Ziele und Vorsätze auch tatsächlich erreichen kann.
Timur Sevincer, der heute in Hamburg lebt und an verschiedenen Hochschulen unterrichtet und auch forscht, hat mehr als 40 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und hat sich vor allem mit dem menschlichen Nachdenken über die Zukunft befasst.
Gleich zu Beginn seines Vortrags erklärte er, dass das eine Fähigkeit sei, die nur ganz wenige Tierarten besitzen und das vermutlich keine Spezies so weit und so genau in die Zukunft blicken könne wie der Mensch. Er könne seine Möglichkeiten ausloten, Ereignisse ein Stück weit vorhersagen und sich Ziele setzen und verfolgen.
Dass viele gute Vorsätze schon im Januar scheitern, liegt laut Timur Sevincer vor allem an zwei Dingen: Man muss Versuchungen widerstehen können und Anstrengungen aufbringen, um seine Ziele zu erreichen. Was die Versuchungen anbetrifft, würden viele eine kleine Belohnung sofort einer viel größeren zu einem späteren Zeitpunkt vorziehen. „Schon Adam hat sich für den Apfel entschieden, statt für das ewige Leben im Paradies“, konstatierte Timur Sevincer. Für seine Zuhörer hatte er ganz praktische Ratschläge: Sie sollten sich im Falle einer Versuchung ablenken, sich die kleine Belohnung auf keinen Fall vorstellen, Versuchungen generell meiden und als Abwehrstrategie gute Gewohnheiten bilden.
Etwas komplizierter ist es seiner Meinung nach mit der Anstrengung. Positives Denken allein wirke bei guten Vorsätzen eher kontraproduktiv. Zahlreiche Experimente hätten erwiesen, dass vor allem diejenigen scheitern, die zu viel an das erwünschte Ergebnis denken. Wichtig sei es, immer auch an die Hürden zu denken, die dazwischen liegen und vor allem von vornherein einen Plan zu entwickeln, was zu tun ist, wenn auf dem Weg zum Ziel Schwierigkeiten auftauchen.
Das alles packte Timur Sevincer in einen unterhaltsamen, populärwissenschaftlichen Vortrag, in dem sich die meisten Zuhörer wiederfanden. Entsprechend groß war der Applaus. Die wenigsten hatten am Ende bemerkt, dass der Psychologe mit Schwalbacher Wurzeln mehr als eine Stunde geredet hatte.
Nach dem Vortrag trafen sich die Besucher wie in jedem Jahr im Foyer des Bürgerhauses, um sich gegenseitig ein gutes neues Jahr zu wünschen und über den Vortrag zu diskutieren. MS