Die brasilianische Autorin Patrícia Melo erzählt in „Gestapelte Frauen“ die Geschichte hinter den Schlagzeilen. In „Dies ist kein Liebesfilm“ von Owen Nichols macht der Filmvorführer Nick die schmerzhafte Erfahrung, dass das Leben nicht immer nach dem perfekten Drehbuch verläuft. Die Filmemacherin Claudia Heuermann schildert in „Land oder Leben“ die Tücken eines selbstbestimmten Lebens in unberührter Natur.
„Gestapelte Frauen“
Sie verliebt sich schnell in Amir – charmant, intelligent, interessiert. Die Unterhaltungen belebend, die Nächte im lebhaften São Paulo berauschend. Dann die Ohrfeige, die Beleidigung. Um so weit weg wie nur möglich von ihm zu sein, nimmt die junge Anwältin eine Stelle im entlegenen Cruzeiro do Sul an. Als Beobachterin nimmt sie an Gerichtsverhandlungen zu brutalen Frauenmorden teil. Immer näher kommt sie dem Leben der Opfer – den Töchtern, den Müttern, den Freundinnen. Und immer eindringlicher verfolgen sie Bilder aus ihrer Kindheit, Bilder ihrer eigenen Mutter.
Um der Wirklichkeit zu entkommen, flüchtet sie sich in eine Traumwelt – in geheimnisumwirkte Wälder und Flüsse, an die Seite von Amazonen, die die Täter verfolgen. In der Realität aber scheint die Gerechtigkeit unerreichbar.
Patrícia Melo, geboren 1962 in São Paulo, zählt zu den wichtigsten Stimmen der brasilianischen Gegenwartsliteratur. Nach ihrem Studium in São Paulo arbeitete sie beim Fernsehen. In ihrem sozialkritischen Werk, bestehend aus Kriminalromanen, Hörspielen, Theaterstücken und Drehbüchern, beschäftigt sie sich mit der Gewalt und Kriminalität in Brasiliens Großstädten. Melo wurde u. a. mit dem Deutschen Krimipreis und dem LiBeraturpreis ausgezeichnet, die Times kürte sie zur „führenden Schriftstellerin des Millenniums“ in Lateinamerika. Patrícia Melo lebt in Lugano.
Patrícia Melo: „Gestapelte Frauen“
Übersetzt von Barbara Mesquita
Unionsverlag, 2021. 256 Seiten, 22 Euro.
„Dies ist kein Liebesfilm“
Für den Filmvorführer Nick ist das Leben großes Kino. Für jede Situation hat er die passende Referenz parat, jedem Hindernis begegnet er mit einem gekonnten Zitat. Und als er dann auch noch Ellie trifft, scheint es, als hätte ihm jemand seine eigene romantische Komödie geschrieben. Es ist die Nacht, in der Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der USA gewählt wird, und Nick ist sich sofort sicher, dass sie nicht nur seine große Liebe ist, sondern auch eine ebenbürtige Diskussionspartnerin in Sachen Hollywood.
Doch vier Jahre später, als Obama wiedergewählt wird, findet sich Nick im völlig falschen Film wieder. Ellie ist weg, vor lauter Kummer schafft er es nicht einmal, seiner hochschwangeren Schwester zur Seite zu stehen und dann macht auch noch sein Kino dicht. Im Film würde er all das mit der passenden Hintergrundmusik meistern, doch Nick muss erkennen, dass das Leben seine ganz eigene Dramaturgie bereithält.
Owen Nicholls studierte Drehbuchschreiben an der University of East Anglia. Gleich sein erstes Drehbuch wurde von den Machern von „The King’s Speech“ produziert. „Dies ist kein Liebesfilm“ ist sein erster Roman. Owen Nicholls lebt in Norfolk.
Owen Nicholls: „Dies ist kein Liebesfilm“
Übersetzt von Juliane Zaubitzer
Atlantik Verlag, 2020. 368 Seiten, 16,90 Euro.
„Land oder Leben“
Es beginnt mit der Sehnsucht nach dem selbstbestimmten Leben in unberührter Natur. Als die Münchner Filmemacherin Claudia Heuermann genug von Smog, Stress und Stadtleben hat, wagt sie den Ausstieg: Mit ihrem Mann und den zwei kleinen Söhnen zieht sie in die tiefen Wälder der nordamerikanischen Catskill Mountains, richtet sich dort mit Ziegen und Hühnern auf einer 200 Jahre alten Farm ein und macht ihren Traum vom unabhängigen Selbstversorgerleben wahr. Sie baut Gemüse an, kocht Ahornsirup überm Lagerfeuer, sammelt Eier ein und stellt Käse und Ziegenmilchseife her, während die Kinder weitab von Straßenverkehr und Luftverschmutzung durch den Wald toben.
Doch dann zeigt die Wildnis ihre Krallen: Ein Schwarzbär macht die Gegend unsicher, eine Giftschlange findet sich im Keller ein, und ein Kojotenrudel rückt näher, als es der Familie lieb ist. Und werden dann auch noch die Bruderküken zu kampflustigen Hähnen und die Kinder zu Teenagern, läuft gar nichts mehr wie geplant.
Tapfer meistert Claudia alle Herausforderungen und die pausenlose Knochenarbeit auf der Farm – tagein, tagaus, sieben Jahre lang, bis die Familie auf die Probe ihres Lebens gestellt wird.
Claudia Heuermann wurde in Berlin geboren, wuchs im Ruhrgebiet auf, studierte Grafikdesign in Trier und absolvierte ein Filmstudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln, bevor sie bei den Bavaria Studios in München landete. Von dort aus zog es sie immer öfter nach New York, wo sie schließlich ihre beiden preisgekrönten Filme über die Downtown Jazz- und Avantgardeszene drehte: „Sabbath in Paradise“ (ausgezeichnet als bester langer Film auf dem Dokumentarfilmfestival Nyon 1997, Ausstrahlung im WDR) und „A Bookshelf on Top of the Sky – 12 Stories about John Zorn“ (Dokumentarfilmpreis Filmfest München 2002, Vorführung u. a. im Museum of Modern Art in New York).
Nach der Geburt ihres zweiten Kindes beschloss Claudia Heuermann allerdings, Filmkarriere und Stadtleben an den Nagel zu hängen und der Zivilisation den Rücken zu kehren. Mit ihrer Familie kaufte sie 2011 ein altes Bauernhaus in Upstate New York, nahe Woodstock, um dort einen Selbstversorgerhof aufzubauen und als Farmerin mit Ziegen und Hühnern in der Wildnis zu leben. Die Abenteuer, die sie dort erlebte, und die existenziellen Erfahrungen, die sie machte, haben ihr Leben für immer verändert.
Im Sommer 2018 kehrte sie zurück nach München, wo sie heute mit ihren Söhnen lebt – allerdings nicht, ohne hin und wieder von einem einsamen Hof in den Bergen zu träumen.
Claudia Heuermann: „Land oder Leben“
Conbook Verlag, 2020. 288 Seiten, 14,95 Euro.