Die Stadt Schwalbach hat 19 Millionen Euro bei der inzwischen insolventen Greensill-Bank angelegt und mutmaßlich verloren. In einer Serie beleuchtet die Schwalbacher Zeitung, wie es zum größten finanziellen Verlust in der Geschichte der Stadt kommen konnte und wer die Verantwortlichen für das Desaster sind. Im fünften Teil geht es um die Geschäfte der Greensill-Bank und warum bei dieser Bank niemals hätten Steuergelder angelegt werden dürfen.
So einfach wie es ist, Waren gegen Geld einzutauschen, so kompliziert ist die moderne Finanzwelt geworden. Weltweit werden ausgeklügelte Finanzprodukte gehandelt, bei denen vielfach nur noch Experten Risiken und Gewinnchancen abschätzen können. Selbst vermeintlich einfache Anlageformen wie Festgelder und Sparbriefe sind daher nicht per se sicher. Denn entscheidend ist, welche Art von Geschäften mit dem Geld finanziert werden und wie seriös und transparent die Banken arbeiten, die die Festgelder auflegen.
Der deutsche Ableger der Greensill-Bank war im Jahr 2019 und auch noch im ersten Halbjahr des Jahres 2020 so etwas wie ein Shooting-Star unter den Finanzinstituten. Das war vor allem an der Bilanzsumme der Bank zu erkennen. Allein im Jahr 2019 explodierte sie um 500 Prozent von 763 Millionen Euro auf 3,8 Milliarden Euro. Gleichwohl war die ehemalige „NordFinanz Bank“ damit immer noch ein kleines Institut, das keinerlei Referenzen vorweisen konnte. Solche Steigerungen in der Bilanzsumme werden unterschiedlich bewertet. Dumme Anleger gehen gerne mit der Masse und investieren bei Instituten, die gerade „in Mode“ sind. Die Experten der Branche sehen große Sprünge in der Bilanzsumme dagegen eher kritisch und lassen im Zweifel lieber die Finger davon. Das war auch bei Greensill nicht anders. Während die Bank im Frühjahr 2020 in massentauglichen Wirtschaftsmedien durchaus positiv beurteilt wurde, stellte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) den Bremer Bankern bereits viele kritische Fragen. Denn schon damals bestand der Verdacht, dass die Greensill-Bank gar keine richtige Bank ist, sondern eher ein Trupp von gewieften Vertrieblern in der Hülle einer ehemaligen Bremer Bank, die frisches Geld für undurchsichtige Geschäfte einsammeln, in dem sie Festgeldanlagen an deutsche Sparer und Anleger verkaufen.
Fragwürdiges Rating
Geblendet wurden viele – auch die Stadt Schwalbach – vom Rating der Greensill-Bank. Das lag im Juni 2020 – als die Stadt erstmals Geld nach Bremen überwies – bei einem sehr guten „A-„ und damit im Bereich der Deutschen Bank oder der Commerzbank. Allerdings war für jeden gut sichtbar, dass dieses Rating nicht von einer der drei großen Rating-Agenturen stammte, sondern von einer weitgehend unbekannten Berliner Agentur namens „Scope“, die außer großen Namen in Beirats-Gremien nicht viel vorzuweisen hatte. In Anbetracht von Steuergeldern, die absolut sicher angelegt werden müssen, hätten die Leiterin der Stadtkasse und Bürgermeister Alexander Immisch spätestens an dieser Stelle auf Festgelder bei Greensill verzichten müssen – ganz gleich wie hoch die Rendite war.
Dass das Rating tatsächlich nicht viel Wert war, stellte sich nach dem Zusammenbruch der Greensill-Bank im Jahr 2021 heraus. So beriet eine Tochter der „Scope“-Gruppe die Greensill-Bank beim Erstellen der Rating-Unterlagen, während eine andere Tochter der „Scope“-Group genau diese Unterlagen prüfte und die Rating-Note vergab. Außerdem hatte der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Greensill-Bank eine Beteiligung an der „Scope“-Gruppe und saß im „Advisory Board“ des Unternehmens. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion erklärte die Bundesregierung im Juni 2021, dass ein Interessenskonflikt zwischen der „Scope Group“ und der Greensill-Bank „nicht ausgeschlossen“ werden kann.
Aus der Antwort der Bundesregierung geht auch hervor, dass es ein zweites Rating über die Greensill-Bank von der Agentur „GBB-Rating“ gab, die vom Prüfungsverband deutscher Banken gegründet worden ist. Dieses Rating fiel mutmaßlich erheblich schlechter aus als das von „Scope“, wurde aber nie im Detail publiziert, sondern nur verbandsintern für die Berechnung von Versicherungsprämien verwendet.
Doch nicht nur die unbekannte Rating-Agentur „Scope“ hätte die Verantwortlichen im Schwalbacher Rathaus abschrecken müssen. Auch das Geschäftsmodell der Greensill-Bank war alles andere als geeignet für eine sichere Geldanlage. Der deutsche Greensill-Ableger hatte mit der internationalen Greensill-Gruppe nur einen einzigen Kreditkunden und der finanzierte weltweite Lieferketten. Doch die waren während der Corona-Pandemie extrem gestört. Aber so weit gingen die Recherchen in Schwalbach nicht. Mehr als die Greensill-Website und die Angebotsblätter der Anlagevermittler hatte sich die zuständige Mitarbeiterin laut dem Revisionsbericht des Main-Taunus-Kreises ohnehin nicht angesehen, bevor sie dem Bürgermeister die Geldanlage vorschlug. Entscheidend war, dass Greensill noch Zinsen anbot, als die meisten anderen Banken bereits „Verwahrentgelte“ – also Negativzinsen – kassierten. Die gut geölte Verkaufsmaschine von Greensill setzte auf die Dummen und die Gierigen.
Münster war schlauer
Andere waren schlauer und verantwortungsbewusster als Schwalbach – Münster etwa. Die Stadt in Westfalen wollte bereits im Jahr 2019 einige Millionen bei Greensill anlegen. Doch die dortige Kämmerin verließ sich nicht auf die Angebotsblättchen und die Greensill-Website, sondern beauftragte eine Rating-Agentur aus der Schweiz mit der Überprüfung der Bank. In ihrem Kurzgutachten kamen die Experten von „Independent Credit View“ (I-CV) zu einem vernichtenden Ergebnis: Sie stuften Festgelder bei Greensill mit „BB-„ beinahe auf „Ramschniveau“ ein. Eine winzige Bank, die nur einen Kreditkunden mit einem undurchsichtigen Geschäftsmodell hat und deren Bilanz geradezu explodiert ist, sei einer Kommune als Investment nicht zu empfehlen. Die Stadt Münster verzichtete auf ein Engagement bei Greensill und hat ihre Millionen heute noch. Auf Anfrage der Schwalbacher Zeitung teilt „I-CV“ mit, dass eine solche Analyse auch für Schwalbach für 3.000 bis 5.000 Euro zu haben gewesen wäre.
Der Niedergang der so genannten Greensill-Bank begann pikanterweise an dem Tag, an dem die Stadt Schwalbach erstmals Geld nach Bremen schickte. An jenem 15. Juni 2020 entdeckte die Bafin die Verflechtungen zwischen der Greensill-Bank und der Ratingagentur „Scope“ und begann eine „forensische Prüfung“ der Bank vorzubereiten, die schließlich im September 2020 begann. Eine solche „forensische Prüfung“ gehört zu den schärfsten Waffen der Bafin und wird nur dann angewendet, wenn es erhebliche Verdachtsmomente auf Betrügereien oder Bilanzmanipulationen gibt.
Nach außen drang davon nichts, da die Bafin zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet ist. Wäre der Verdacht auch nur ansatzweise öffentlich geworden, wäre die Greensill-Bank wegen des folgenden Vertrauensverlustes sofort insolvent gewesen. In der Öffentlichkeit tauchten im Sommer 2020 im englischsprachigen Raum trotzdem erste kritische Berichte über Greensill auf. Am 17. September 2020 stufte schließlich selbst die Agentur „Scope“ das Rating auf „BBB+“ herab. In der Folge erschienen weitere Publikationen über mögliche Schwierigkeiten bei der Greensill-Bank.
Die beiden Verantwortlichen im Schwalbacher Rathaus bekamen von alledem nichts mit oder ignorierten Zeichen wie das herabgestufte Rating einfach. Als im Februar 2021 andernorts bereits die Alarmglocken schrillten, verlängerte die Stadt Schwalbach am 15. Februar 2021 ein auslaufendes Festgeld über 3 Millionen Euro gleich um zwei Jahre. Schwalbach dürfte damit einer der letzten Anleger gewesen sein, der der „Bank“ aus Bremen noch eine Millionensumme anvertraut hat. Am 4. März 2021 – also nicht einmal drei Wochen später – brach das Greensill-Kartenhaus zusammen. Fortsetzung folgt. MS