23. Februar 2023

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

In seinem Roman „Monde vor der Landung“ rekonstruiert Clemens J. Setz eine reale, so bewegende wie verstörende Lebens- und Familiengeschichte. Von dem Jahr nach dem Ende einer großen Liebe erzählt der Debütroman „Ohne mich“ von Esther Schüttpelz. Woher kommt es, das Leben, und was bedeutet es eigentlich? Um diese beiden Fragen kreist der Roman „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ von Karl Ove Knausgård.

 

„Monde vor der Landung“

Worms, Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Peter Bender, ehemals Fliegerleutnant des Deutschen Heeres, macht sich als Gründer einer neuen Religionsgemeinschaft und mit der Proklamation der sogenannten Hohlwelt-Theorie einen Namen: Die Menschheit, so diese Theorie, lebe nicht auf, sondern in einer Kugel, außerhalb derselben existiere nichts. Benders Gemeinde bleibt überschaubar, dennoch wird er wegen der Verbreitung aufwieglerischer und gotteslästerlicher Flugschriften zu einer mehrmonatigen Kerkerhaft verurteilt. Als sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten herumspricht, dass seine Frau Jüdin ist, wenden sich selbst seine engsten Gefolgsleute von ihm ab. Die Benders verarmen, die Repressionen gegen seine Frau werden bald unerträglich, bis die Familie 1942 verhaftet und deportiert wird. Nur der Sohn überlebt das Konzentrationslager.

Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik und Germanistik studierte. Heute lebt er als Übersetzer und freier Schriftsteller in Wien. 2011 wurde er für seinen Erzählband „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman „Indigo“ stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 prämiert. 2014 erschien sein erster Gedichtband „Die Vogelstraußtrompete“. Für seinen Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ erhielt Setz den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Mit „Vereinte Nationen“ war Setz 2017 und mit „Die Abweichungen“ 2019 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 2021 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt.

Clemens J. Setz: „Monde vor der Landung“
Suhrkamp Verlag, 2023. 528 Seiten, 26 Euro.

 

„Ohne mich“

Sie hat sich mit Mitte zwanzig in eine Ehe gestürzt – überstürzt, sagen die Freunde, sagt die Familie. Aber es hat sich damals verwegen und gut angefühlt. Es hat etwas bedeutet. Aber was? Frisch getrennt beendet sie ihr Jura-Studium und Referendariat. Doch statt sich wie die meisten auf den Weg nach Berlin zu machen, bleibt sie erst einmal im beschaulichen Münster. Dort stolpert sie durch die Tage, taumelt durch die Nächte, lässt keinen Drink aus und kaum eine Begegnung. Sie sieht ihre Umgebung glasklar, lügt sich selbst aber ganz schön in die Tasche. Jung sein, Ehefrau sein und Feministin, Musikerin, aber auch Juristin – manchmal passt einfach nichts mehr zusammen. Von dem Jahr nach dem Ende einer großen Liebe, vor dem Beginn eines neuen Lebens erzählt der Debütroman von Esther Schüttpelz.

Esther Schüttpelz, geboren 1993 in Werne, studierte Jura in Münster und arbeitete kurz als Rechtsanwältin, bevor sie ernsthaft zu schreiben begann. Sie macht Musik und schreibt eigene Songs. Sie lebt in Berlin.

Esther Schüttpelz: „Ohne mich“
Diogenes, 2023. 208 Seiten, 22 Euro.

 

„Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“

Alles beginnt 1986 im Süden Norwegens. Der junge Syvert Løyning kehrt vom Militärdienst zu seiner Mutter und seinem Bruder ins Haus der Familie zurück. Im fernen Tschernobyl ist gerade ein Atomreaktor explodiert, Norwegen selbst wird von einer Regierungskrise erschüttert. Syvert weiß nicht wirklich, wohin mit sich. Was hält die Zukunft für ihn bereit? Eines Nachts träumt er von seinem toten Vater, und ein unheimliches Gefühl beginnt sich in ihm festzusetzen: sein Vater will ihm eine Botschaft übermitteln. Aber welche könnte das sein? Ratlos beginnt er sich die nachgelassenen Sachen von ihm genauer anzuschauen. Und muss schließlich feststellen, dass es ein anderes Leben gab, das sein Vater führte. Eines, das bis in die Sowjetunion führt.

Ein Leben, das mit der russischen Wissenschaftlerin Alevtina zu tun hat, die viele Jahre später an einem Wochenende mit ihrem Sohn nach Samara reist, um den achtzigsten Geburtstag ihres Vaters zu feiern, und da noch nicht weiß, dass sie bald Besuch aus Norwegen bekommen wird. Und mit ihrer alten Freundin Vasilisa, einer Lyrikerin, die ein Buch über einen eigenwilligen und alten Zug der russischen Kultur schreibt: den Glauben an ein ewiges Leben.

Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als wichtigster norwegischer Autor der Gegenwart. Die Romane seines sechsbändigen, autobiographischen Projektes wurden weltweit zur Sensation. Sie sind in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach preisgekrönt. 2015 erhielt Karl Ove Knausgård den „Welt“-Literaturpreis, 2017 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Er lebt in London.

Karl Ove Knausgård: „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“
Übersetzt von Paul Berf
Luchterhand, 2023. 1.056 Seiten, 30 Euro.

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