16. Januar 2024

Leserbrief

„Versicherungsfremde Leistungen schmälern die Rente“

Zum Kommentar „Das Milliarden-Tabu“ in der Ausgabe vom 20. Dezember erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief von Thomas Frühauf. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer an info@schwalbacher-zeitung.de.

Sehr geehrter Herr Schlosser, selten haben mich Ihre Schwalbacher Spitzen mehr aufgeregt, als die in KW51 und KW52, betitelt mit „Das Milliarden Tabu“, in denen Sie die Höhe des Bundeszuschusses zur Gesetzlichen Rentenversicherung beklagen.
Um es vorweg und ganz deutlich zu sagen: Wenn man ganz offensichtlich wenig Ahnung vom deutschen Sozialsystem hat, sollte man besser dazu schweigen und nicht noch kurz vor Weihnachten der gesellschaftlichen Spaltung weiter Vorschub leisten, in dem man „Junge“ gegen „Alte“ aufhetzt.
Um ein paar Dinge richtig zu stellen:
Die Steuerzuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Sozialversicherungen haben ihre Ursache nicht in zu geringen Beitragssätzen oder zu wenig Einzahlern (Zitat: „weil die heutigen Rentner und alle über 50 insgesamt zu wenig eingezahlt und/oder zu wenig Kinder gezeugt haben.“).
Tatsächlich hat der Gesetzgeber der gesetzlichen Rentenversicherung über die Jahre in immer größerem Umfang sogenannte Versicherungsfremde Leistungen aufgehalst, anstatt sie vollumfänglich aus dem Steuersystem zu finanzieren. Zu diesen von der Allgemeinheit als sinnvoll erachteten Sozialleistungen zählen unter anderem die abschlagsfreie Rente mit 63 (nach 45 Jahren Beitragszahlung), die Anrechnung von Erziehungszeiten (sogenannte Mütterrente) und der Grundrentenzuschlag für Bezieher der Grundsicherung.
Der Bundeszuschuss für diese Leistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung ist tatsächlich, gemessen an der Höhe des Bruttoinlandsprodukts, nicht gestiegen, sondern von circa 3,5 Prozent im Jahr 2003 auf circa 2,8 Prozent im Jahr 2022 abgesenkt worden. Und gerade hat die Ampelkoalition beschlossen, ihre Haushaltslücke für 2024 zu einem großen Anteil durch weitere Senkungen der Bundeszuschüsse zu den Sozialversicherungen zu finanzieren. Das heißt, weitere Beitragserhöhungen werden für die deutschen Angestellten kaum zu verhindern sein.
Tatsächlich beträgt der Bundeszuschuss für diese von den Volksvertretern als sinnvoll erachteten und beschlossenen Sozialleistungen im Mittel der letzten 20 Jahre nur circa 60 Prozent der Höhe der Versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung.
Das bedeutet, dass circa 40 Prozent alleine von den Beitragszahlern getragen werden – anstatt von der Allgemeinheit. Zu einem großen Anteil entziehen sich also einkommensstarke Gruppen wie Politiker, Selbständige und Beamte – einzigartig in Europa – dies bezüglich dem Solidarprinzip.
Würden sämtliche Versicherungsfremde Sozialleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung von der Allgemeinheit, das heißt aus Steuermitteln getragen, so könnte der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung sofort um mehrere Prozentpunkte abgesenkt werden – oder die durchschnittliche gezahlte Rente könnte wieder in Richtung des europäischen Durchschnitts gebracht werden.

Dr. Thomas Frühauf,
Schwalbach

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