Ein recht düsteres Bild zeichnete Prof. Sighard Neckel gestern beim diesjährigen Schwalbacher Neujahrsempfang. „Das gesellschaftliche Leid der Erschöpfung – eine Zeitdiagnose“ lautete der Titel seines Vortrags, der die gesellschaftlichen Ursachen von Krankheiten, wie dem Burn-Out-Syndrom und Depressionen beleuchtete. Bericht mit Video
Für viele erstaunlich war dabei, dass es ähnliche Krankheiten schon lange gibt. Schon nach der industriellen Revolution Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben danach „Nervenärzte“ die sogenannte Neurastenie, die mit dem heutigen Burn-Out-Syndrom durchaus vergleichbar ist. Sighard Neckel legte dar, dass – ähnlich wie damals – auch heute wieder durch die Digitalisierung große Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft von statten gehen und es einigen nicht gelänge Schritt zu halten.
An den heutigen Zuständen auf dem Arbeitsmarkt ließ der Soziologe aus Hamburg kaum ein gutes Haar. Überall seien die Arbeitnehmer Wettbewerben ausgesetzt, gleichzeitig verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen und obendrein würde die ständige Bereitschaft durch Smartphones den Menschen zusetzen. Da sei es kein Wunder, dass die Belastungen bei vielen dazu führen, dass ursprünglich großes Engagement irgendwann in eine umfassende Erschöpfung mündet.
Sighard Neckel erinnerte aber auch daran, dass es in den 70er-Jahren ursprünglich vor allem soziale Berufe gewesen seien, in denen das Burn-Out-Syndrom erstmals beobachtet worden ist. Damals seien die Betroffenen häufig daran gescheitert, dass sie trotz des bestmöglichen Einsatzes die prekären Verhältnisse ihrer Klientel nicht hätten verbessern können. Man sprach vom „Helfersyndrom“. Unterm Strich mahnte Sighard Neckel eine grundsätzlich neue Sicht auf die Erwerbsarbeit an und forderte einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Mensch.
Beim anschließenden Empfang im Foyer des Bürgerhauses diskutierten die rund 300 Teilnehmer noch lange über den Vortrag des bundesweit renommierten Sozialwissenschaftlers. Gleichzeitig nutzten die Vertreter aus Vereinen, Kirchen, Schulen, der Verwaltung und vielen anderen Schwalbacher Institutionen wie in jedem Jahr die Gelegenheit, sich gegenseitig alles Gute für das neue Jahr zu wünschen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Ganz zu Beginn hatte Bürgermeisterin Christiane Augsburger (SPD) in ihrem Grußwort einen Ausblick auf das gegeben, was in Schwalbach 2018 wichtig sein wird. Dabei spannte sie den Bogen von der Umgestaltung des unteren Marktplatzes über die geplante repräsentative Umfrage unter Senioren bis hin zum anstehenden 40-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft mit Avrillé. MS
Zusatzmaterial:
Rede Prof. Sighard Neckel im Wortlaut