23. August 2019

Leserbrief

„Haben die Grünen keine anderen Herausforderungen?“

Zum Artikel „Keine Straße für einen Nazi“ in der Ausgabe vom 21. August erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.

Auf der ersten Seite berichtet uns die Schwalbacher Zeitung vom Vorschlag der Schwalbacher Grünen, unsere Wohnstraße – den Rudolf-Dietz-Weg“ – umzubenennen und man schlägt auch gleich einen neuen Namen vor. Da fragt man sich zunächst als unmittelbar Betroffener: Was soll denn das nach über 40 Jahren, die die Straße schon diesen Namen trägt? Warum dieser Vorschlag, ohne mal die (relativ wenigen) Betroffenen zu fragen? Haben die Grünen Schwalbachs nichts Besseres zu tun, als uns auf diese Weise „aufzurütteln“?
Als zweites schaut man ins Internet. Und da erfährt man einiges. Ja, Rudolf Dietz war ein Wiesbadener Nazi, und trat als solcher vor allem als Heimatdichter in nassauischer Mundart auf. Er starb bereits 1942 und war wohl kein größeres Licht, genau wie so viele, die die Nazi-Zeit überlebten, dann aber hohe Ämter in der Bundesrepublik bekleideten und sicher in Fülle Straßennamen bekamen. Es gibt in Hessen 30 Straßen, eine Schule und zwei Plätze, die den Namen Rudolf Dietz tragen.
Und dann liest man bei Wikipedia weiter Erstaunliches: Immerhin 60 Jahre nach seinem Tod entbrannte im Jahr 2003(!) in Wiesbaden eine öffentliche Debatte um die Umbenennung der Rudolf-Dietz-Grundschule. Der damalige CDU-Oberbürgermeister gab ein Gutachten in Auftrag, das zu dem Ergebnis kam, dass „Dietz ein Mitläufer des Naziregimes war“. Dem wurde jedoch heftig widersprochen. Aber die Stadtverordnetenversammlung von Wiesbaden, ebenso wie Eltern und Lehrer der Rudolf-Dietz-Schule, entschieden 2005, den Namen der Grundschule beizubehalten.
Am 26. Juni 2012 beantragten die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung von Bad Camberg, die dortige Rudolf-Dietz-Straße umzubenennen. Der Antrag wurde abgelehnt. Ersatzweise wurden, als Erganzung der Straßenschilder, im April 2013 Schilder mit dem Hnweis auf die NS-Vergangenheit des Autors angebracht.
Der Rudolf-Dietz-Weg ist eine relativ unbedeutende kleine Einbahnstraße in Schwalbach ohne jeglichen Durchgangsverkehr. Außer den Bewohnern und ihren Besuchern verirrt sich kaum einer selbst aus Schwalbach dahin. Wir Bewohner haben diese Adresse sein nummehr fast 40 Jahren. Müssen wir unsere Freunde und Verwandten über eine Adressenänderung informieren? Wer wird uns dann auf den Navigationsgeräten noch finden? Wo waren die Grünen mit einem solchen Vorschlag vor 40 Jahren, als diese Benennung erfolgte, wo waren sie, als die Wiesbadener und gar ihre Bad Camberger Parteifreunde aktiv waren? Von „einigen anderen Städten“, in denen die Namen bereits geändert wurden, ist bei Wikipedia jedenfalls nicht die Rede. Welche genau sind das und wann wurde geändert?
Wie basisdemokratisch denken eigentlich die Schwalbacher Grünen, wenn sie erst die Umbenennung von den Stadtverordneten beschließen lassen und dann die Anwohner in „Informationsveranstaltungen“ an der neuen Namensfindung „innerhalb von zwei Jahren“ beteiligen wollen, wozu sie gleich auch noch einen aktuellen Vorschlag machen. Geht es nicht noch partizipativer und aufwändiger? Und was soll die Benennung eines relativ unbedeutenden Weges mit einem bedauerlicherweise ermordeten nordhessischen Regierungspräsidenten, mit dem wir hier nie etwas zu tun hatten. Wenn schon, wäre da nicht Eichendorff-Weiher-Weg oder ein sonstiger (unbedeutender) Heimatdichter eher angebracht?
Mir scheint, die Bad Camberger haben die Lösung gefunden: Wenn es denn sein muss, möge die Stadt bitte beschließen, die wenigen Namenschilder (es gibt sie übrigens kaum) mit dem Hinweis auf die NS-Vergangenheit des Heimatdichters zu versehen und uns vor weiteren Veranstaltungen zu bewahren.
Ich bin zwar von Haus aus Historiker und weiß die Nazi-Zeit einigermaßen zu beurteilen. Für solche Nebensächlichkeiten möchte ich aber meine vielleicht nur noch kurze Lebenszeit mit „Informationsveranstaltungen“ und mit Behördengängen zu unnötigen Änderungen nicht einsetzen. Es ist nett, dass die Stadt die Kosten durch das notwendige Ändern von amtlichen Dokumenten für uns Anwohner übernehmen soll, besser wäre es in meinen Augen, sie würde sie den Flüchtlingen oder anderen Bedürftigen zukommen lassen, wenn sie sie nicht in die Hinweise auf den Schildern investieren will.
Und im Übrigen: Wir haben in Schwalbach wirklich andere Probleme, sodass unsere Politiker sich nicht mit solchen Nebensächlichkeiten abgeben sollten. Dr. Wolfgang Küper, Schwalbach

3 Gedanken zu „„Haben die Grünen keine anderen Herausforderungen?“

  1. Der November 2016 mag für einen Historiker ein nicht so interessantes Datum sein, aber schon die 1. Seite einer Google Suche verweist auf einen FNP-Artikel aus dem Jahr 2018, in dem die langwierige Geschichte der vom Verfasser des Leserbriefs unbemerkten Namensänderung in Bad Camberg im November 2016 beschrieben wird (https://www.fnp.de/lokales/limburg-weilburg/bad-camberg-ort89322/stadt-streicht-rudolf-dietz-10428763.html). Der immer wiederkehrende Tenor solcher „Argumentationen“ ob es nichts wichtigeres gibt als ausgerechnet hier (mich) zu blitzen oder ausgerechnet hier (mir) ein Knöllchen wegen Falschparkens zu verpassen etc. weckt schon den Verdacht, dass das Engagement des Verfassers in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Adresse steht.

  2. Sehr geehrter Herr Dr. Küper,

    Ihren Worten ist NICHTS, aber auch GAR NICHTS, hinzuzufügen.

    Chapeau!

  3. Ich wohne in unmittelbarer Nachbarschaft in der Friedrich – Stoltze-Str. Und kann Herrn Dr. Küper nur 100% recht geben. Diese aufgesetzte „political correctness“, die sich meiner Meinung nach auch bei der oft geforderten Umbenennung von z. B. Mohren-Apotheken findet, schießt völlig über das Ziel hinaus. Eine Zusatztafel genügt völlig. Ich frage mich wirklich, ob manche Politiker sich solche Scheinprobleme suchen, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert