10. Dezember 2019

Beim Glühwein gab es auf dem Weihnachtsmarkt große Geschmacksunterschiede

Selbstgemacht ist nicht immer besser

Mit kleinen Probierbechern testeten Mathias Schlosser (Mitte) und Berthold Bockel-Rickermann alle 19 Glühweine, die am Schwalbacher Weihnachtsmarkt ausgeschenkt wurden. Den subjektiv Besten hatten unter anderem die Pinguine im Topf. Foto: A. Schlosser

Es ist ein Getränk, das nur an einem einzigen Tag im Jahr toleriert wird: Glühwein gibt es nur am Weihnachtsmarkt. An den anderen 364 Tagen kommt niemand auf die Idee, Wein zu erhitzen, Zucker hinein zu schütten und den Rebensaft mit allerlei Küchengewürzen zu malträtieren. Was dabei herauskommen kann, haben Mathias Schlosser und Berthold Bockel-Rickermann am vergangenen Samstag für die Schwalbacher Zeitung erschmeckt. Sie probierten alle 19 Glühweine, die an den Ständen rund um den Dalles angeboten wurden.

Dass die meisten Glühweine rot sind, hat einen einfachen Grund: Nur Rotweine haben in der Regel genügend „Körper“, um die brutale Zubereitungsprozedur zu überstehen. Bei den meisten Weißweinen dagegen flüchten die feinen Aromastoffe in Panik aus dem Topf und zurück bleibt eine säuerliche Plörre, die sich mit Zucker, Honig oder Gewürzen nur schwer wieder aufpimpen lässt.
An dieser Aufgabe scheiterten auch in Schwalbach etliche Vereine, auch wenn sie auf jahrelang bewährte Geheimrezepte mit den exotischsten Gewürzen setzten. An einem Stand schmeckte es nach Lakritz, am nächsten nach Gummibärchen. Andere Winzerglühweine erinnerten eher an heiße Limo. Bei der FDP versüßte immerhin eine einzigartige Rabattaktion den viel zu süßen Weingenuss: Wer eine eigene Tasse mitbrachte, zahlte 50 Cent weniger.
Diametral anders schmeckte es beim Seniorenbeirat, aber das war Absicht: Der offensichtlich für Diabetiker gemixte Glühwein enthielt kein einziges Gramm Zucker. Nachsüßen aus dem bereit stehenden Zuckerstreuer war ausdrücklich erwünscht. Außergewöhnlich war auch der Grauburgunder des Arbeitskreises Schwalbach-Avrillé: Der kam zwar aus der Pfalz und nicht aus dem Anjou, erhielt seine französische Note aber durch einen kräftigen Schuss Calvados. Das schmeckte nicht unbedingt nach Weihnachten, hatte aber ordentlich Umdrehungen und war bei den Weihnachtsmarktbesuchern äußerst beliebt. Da ging nur noch das „Basaltfeuer“ des Rockclubs drüber, das aber nicht in die Wertung kam, weil es keinen Wein, sondern nur Hochprozentiges enthielt – so viel, dass es in der Tasse brannte.
Am Ende schaffte es einzig Mechthild Prassl-Walz an ihrem Stand, aus einem rheinhessischen Weißwein einen süffigen, weihnachtsmarktfähigen Glühwein zu kreieren. Ein bisschen fruchtig, ein bisschen würzig und süßlich im Abgang – so wie es sein soll.
Noch schlimmer als bei den Weißen sah es beim Apfelwein aus. Der wehrt sich bekanntermaßen noch heftiger gegen das Erwärmen, was auch die Grünen einsehen mussten. Sie hätten die Energie für das Erwärmen ihres „heißen Äpplers“ lieber einsparen sollen. Immerhin bekam man für zwei Euro die Keramiktasse mit dazu, so dass man auch auf seine Kosten kam, wenn man den wenig erbaulichen Trank in den Gully kippte. Besser machte es der Tierschutzverein, der einen gut trinkbaren heißen Apfelwein ausschenkte.

SPD als Preisbrecher

Bei den Roten war die Auswahl deutlich größer – und auch die Preisspanne. An den meisten Ständen kostete der Becher 2 Euro bis 2,50 Euro. Preisbrecher war die SPD. Dort gab es zwar nur die etwas langweilige, aber solide Variante aus dem Supermarktregal, dafür aber zum unschlagbaren Preis von einem Euro. Beim Preis-Leistungs-Verhältnis konnte da nur die TG Schwalbach mithalten, die etwas mehr Qualität für 1,50 Euro in die Becher brachte.
Temperatur und Süffigkeit waren am Samstag insgesamt an den meisten Glühweinständen gegeben. Der eine oder andere erwischte vielleicht etwas zu viel Zucker oder eine Nelke mehr als geboten, aber das ist letztlich eine Geschmacksfrage, über die sich nicht streiten lässt. Ein besonderes Tröpfchen kredenzte die „Genuss Botschaft“: einen Merlot vom Weingut Metzger, der nach eigenem Rezept mit allerlei Gewürzen veredelt worden war. Das Ergebnis war ein sehr würziger, weihnachtlicher Glühwein mit wenig Süße, der unter allen anderen in Erinnerung blieb und der wahrscheinlich auch zu einem Steak gepasst hätte.
Doch Glühwein darf nicht trocken sein. Und daher ging der Spitzenplatz an einen Dornfelder aus Neustadt an der Weinstraße. Den Tropfen aus dem Getränke-Kreiner-Keller drückten sowohl die Pinguine als auch die Feuerwehr aus ihren Zapfanlagen in die Becher bis es schäumte. Doch abgesehen von der espressoähnlichen Crema in rosa bot dieser Glühwein eine perfekte Temperatur, viel Frucht, harmonisch abgestimmte Gewürznoten und vor allem den typischen Geschmack nach Weihnachten.
Unterm Strich steht die Erkenntnis, dass selbstgemacht nicht immer besser sein muss und dass 19 Glühweine die Geschmacksknospen ziemlich verkleben. Aber die nächsten 364 Tage wird es beim Wein ja wieder ohne Zimt und Zucker gehen. MS

 

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