Zum Bericht „Schmiererei am Flüchtlingsheim“ erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief von Dr. Claudia Ludwig. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.
In der vergangenen Woche gab es Aufregung um Schmierereien am Flüchtlingsheim „Am Erlenborn“. „Danke Merkel“ hatten Unbekannte an eine Wand geschrieben. Doch diese zwei Worte kann man durchaus verschieden interpretieren. Angela Merkel hat am ersten Septemberwochenende 2015 eine folgenschere Entscheidung getroffen, die nicht nur bei vielen ihrer Parteifreunde für Schnappatmung sorgte: Aus humanitären Gründen erlaubte sie, mehrere tausend Flüchtlinge, darunter viele Familien mit Kindern, die unter unzumutbaren Zuständen im Budapester Bahnhof festsaßen, in Zügen nach Deutschland zu bringen. Sie hat in einer schwierigen Situation das getan, was viele überrascht und ihr kaum einer zugetraut hat: Sie ist ein Risiko eingegangen, hat Verantwortung übernommen und Herz und Mitgefühl gezeigt: Danke, Merkel!
Wir alle erinnern uns an die Bilder, wie die Menschen, erschöpft, aber hoffnungsfroh bei uns ankamen. An vielen Bahnhöfen, darunter München und Frankfurt, wurden sie mit Applaus begrüßt, den Kindern Teddys und andere Stofftiere oder Spielsachen in die Hand gedrückt, Getränke und Essen verteilt – von freundlichen Helfern, die sich spontan, kompetent und vorbildlich organisiert eingefunden und aufgeteilt haben – und fast genauso erleichtert über den Ausgang und die Abwendung einer humanen Katastrophe wirkten wie die Geflüchteten. Bilder von hilfsbereiten Menschen, die um die Welt gingen und das Bild der Deutschen nachhaltig veränderten. Danke Merkel!
Ein halbes Jahr später kam ich in einem arabischen Land mit einem gut informierten und politisch interessierten pakistanischen Taxifahrer ins Gespräch. Nach meiner Antwort auf die obligatorische Frage „Where are you from?“ brach er in Begeisterung aus: „Aus Deutschland, was für ein fantastisches Land, nimmt so viele Flüchtlinge auf, und das, obwohl die eine andere Religion und Kultur haben, wie großartig und vorbildlich.“ Sein Lob war aufrichtig und tat gut. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Danke Merkel!
Ich muss daran denken, wie ich Mitte der 70er-Jahre mit meiner Familie in einer schwedischen Kneipe und ein paar Jahre später mit Freunden in einer kretischen Taverne nicht bedient wurde, weil wir Deutsche waren. Und wie ich beschämt durch die Gedenkstätten von Lidice und Guernica oder das Anne-Frank-Haus in Amsterdam ging, Verdun und die Normandie-Strände besuchte. Wie ich betroffen registrierte, dass die freundliche alte Dame in unserer polnischen Schwesterstadt Olkusz ihr Deutsch während der Besatzungszeit als Zwangsarbeiterin bei der Wehrmacht gelernt haben musste.
Die Flüchtlingsunterkunft „Am Erlenborn“ kenne ich, weil ich hier früher oft Amin abgeholt habe, einen jungen Syrer, für den wir eine Art Patenschaft übernommen haben. Während sein jüngerer Bruder 2018 von einer Autobombe zerfetzt wurde, war wenigstens er hier bei uns in Sicherheit. Danke, Merkel!
Nun steht jedoch zu befürchten, dass diejenigen, die das ans Flüchtlingsheim geschrieben haben, es anders meinten als ich. Deswegen war es gut, dass zwei engagierte Schwalbacher Anzeige erstatteten und tatkräftig und schnell versuchten, den Schriftzug zu entfernten.
Übrigens: Amin hat seit August 2018 einen Ausbildungsplatz bei der GIZ. Er spricht super Deutsch, ist fleißig und erfolgreich, lernt nun noch Englisch und zieht am 1. März aus einem WG-Zimmer in seine erste kleine eigene Wohnung. Er ist gerettet und angekommen. Und wir sind froh, dass er unser Freund ist. Danke Merkel! Dr. Claudia Ludwig, Schwalbach