8. Oktober 2021

Leserbrief

„Durchwursteln statt Aufarbeitung“

Zur Diskussion um die Festgeldanlagen der Stadt bei der insolventen Greensill-Bank erreichte die Redaktion nachfolgender Leserbrief von Christian Wiener. Leserbriefe geben ausschließlich die Meinung ihrer Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Wenn auch Sie einen Leserbrief veröffentlichen möchten, senden Sie ihn unter Angabe Ihrer vollständigen Adresse und einer Rückruf-Telefonnummer (beides nicht zur Veröffentlichung) an info@schwalbacher-zeitung.de.Erstaunlich zügig liegt nun der Abschlussbericht des Akteneinsicht-Ausschuss zur Greensill-Affäre vor. Auch wenn unstrittig ist, dass niemand Schaden anrichten wollte, so ist doch zu befürchten, dass ein Großteil der 19 Millionen Euro schlicht verbrannt sind. Gut gemeint ist hier schlecht gelungen. Das ist ärgerlich und unzweifelhaft zum Nachteil der Stadt und ihrer finanziellen Möglichkeiten.

In der Aufarbeitung der Affäre ärgern mich zudem zwei Punkte: Verantwortlich für die Folgen einer Geldanlage ist derjenige, der die rechtsgültige Unterschrift leistet. Von einem Bürgermeister erwarte ich, dass er sich hierbei nicht alleine auf die Vorlagen aus der Verwaltung verlässt, sondern selbst ausreichend sachkundig ist, und sich vor einer Entscheidung mit einer solchen Tragweite sachkundig macht. Dazu hätte dann in diesem Fall vor der Unterschrift die Erkenntnis gehört, dass die Verwaltung und die externen Berater Fehler gemacht haben. Und auch nach der Unterschrift hat sich offenbar niemand Gedanken über bestehende Regelungen oder die Sicherheit des angelegten Geldes gemacht, weder Bürgermeister Alexander Immisch noch Stadtverordnete und Mitglieder des Magistrats. Dennoch es bleibt: Wer letztlich unterschreibt, ist verantwortlich.

Ein Zweites ärgert mich: Der Akteneinsichtsausschuss hat seine Arbeit beendet – und was ist passiert? Von außen betrachtet schien das Ergebnis vorhersehbar, weil der Vorsitzende der gleichen Partei angehört, wie der in der Kritik stehende Bürgermeister. Das schadete von Beginn an der Glaubwürdigkeit, noch ehe der erste Aktenordner aufgeklappt war. Und nun – das kaum erstaunliche Ergebnis: Die Regierungskoalition findet keine schwerwiegenden Vergehen und die Opposition sieht schuldhaftes Handeln. Ärgerlich, denn ich hätte gerne den Eindruck gehabt, dass eine Aufarbeitung jenseits der Parteilinien erfolgt.

So bleibt bei mir der Eindruck des Durchwurstelns und der Darbietung einer mich wenig überzeugenden parlamentarischen Aufarbeitung der Schwalbacher Greensill-Affäre. Christian Wiener, Schwalbach

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2 Gedanken zu „„Durchwursteln statt Aufarbeitung“

  1. „Die Regierungskoalition findet keine schwerwiegenden Vergehen und die Opposition sieht schuldhaftes Handeln. Ärgerlich, denn ich hätte gerne den Eindruck gehabt, dass eine Aufarbeitung jenseits der Parteilinien erfolgt.“
    Es tagte in dieser Causa kein Untersuchungsausschuss sondern ein Akteneinsichtsausschuss. Es ist mehr als bedauerlich, dass es dieser Zeitung bedarf, um der interessierte Öffentlichkeit Einblick über einseitige Parteiberichterstattung hinaus zu ermöglichen. Was soll in einer Verwaltungsakte parteipolitisch hinterlegt sein? Die Verwaltung ist per se politisch neutral, es sind Sachvorgänge (im besten Fall) nachvollziehbar dokumentiert. So klärt sich mit Leserbriefen und Kommentaren sowie journalistischem Blick des Herausgebers der Schwalbacher Zeitung der Schleier der Berichterstattung. Es sind nicht nur Smileys oder Herzchen, wie es der Ausschussvorsitzende seinen Schwalbachern kundtat. Es wäre seine Aufgabe gewesen, ein umfassendes Bild über den Inhalt der Akten zu präsentieren, sachlich und ohne Wertung.
    Offen bleibt nach wie vor, ob der Bürgermeister von der Verwaltung vor der ersten Anlage oder in der Folgezeit über den fraglichen Magistratsbeschluss informiert wurde. Offen ist auch, ob der Haupt- und Finanzausschuss seinerzeit vom Magistrat über diese doch wesentliche Entscheidung informiert wurde. Es steht nichts in den Protokollen.
    Offen ist, ob Magistratsmitglieder diesen Sachverhalt seinerzeit in Fraktionssitzungen kommuniziert haben. Da gibt es keine öffentlichen Niederschriften.
    Offen ist, wieso die sachlich zuständige Mitarbeiterin der Stadtkasse von jetzt auf gleich die Geldanlagenstrategie wechselt, obwohl ihr der Beschluss bekannt sein musste.
    Offen ist, warum die mit den Geldanlagen befassten Rathausverantwortlichen trotz der eindeutigen Hinweise der Vermittler ins Risiko gegangen sind, egal ob mit oder ohne Kenntnis des Magistratsbeschlusses.
    Alles Fragen, die ein Akteneinsichtsausschuss nicht klären kann. Ein Untersuchungsauschuss könnte tiefer fragen, den gibt es aber kommunalrechtlich nicht. Bleibt die Kommunalaufsicht und die Staatsanwaltschaft. In Gießen hat die Kommunalaufsicht ihre Bewertung zur dortigen Sachlage bereits abgegeben. Die Reaktion der Verwaltungsspitze auf die Vorhaltungen, zumindest soweit sie presseöffentlich geworden sind, macht keine großen Hoffnungen auf Einsicht.
    Dennoch stirbt die Hoffnung zuletzt, es bleibt die Erwartung auf eine transparente und verantwortungsvolle Aufklärung.

  2. In den Akten finden sich Hinweise verschiedener Anlagevermittler, dass bei Festgeldanlagen bei der Greensill Bank AG keine Haftung übernommen wird, dass die Vermittlung ohne Beratung erfolgte und dass keine Einlagensicherung für Kommunen besteht. Nach Aktenlage wurde die Körperschaft der Stadt Schwalbach (Rechtsform der Stadt/Kommune) der Greensill Bank AG bescheinigt, 1. durch die Stadt Schwalbach selbst und 2. durch das Finanzamt. Damit war allen Beteiligten klar, dass die gesetzliche Einlagensicherung im Schadensfall nicht greift. Die Vermittler haben keine Fehler gemacht, sie hatten die Risiken und ihren Haftungsauschluß verschriftlicht.

    Nach Aktenlage bestätigt Bürgermeister Immisch mit der Kontoeröffnung vor der ersten Geldanlage bei der Greensill Bank AG am 10.06.2020 den Informationsbogen für Einleger gemäß § 23a Abs. 1/3 und unterschreibt als Vertretungsberechtigter der Stadt Schwalbach im Kundendatenblatt u.a. folgende Angaben:
    1) Kunde ist die Stadt Schwalbach,
    2) Rechtsform ist eine „Anstalt öffentlichen Rechts/Kommune“,
    3) gesetzlicher Vertreter ist Bürgermeister Alexander Immisch,
    4) Stadtkasse erhält Einzelvollmacht bzw. wird als weitere verfügungsberechtigte Person genannt.
    Damit wurden die Verantwortlichkeiten mit Kontoeröffnung bei der Greensill Bank AG erklärt.

    Vor der vierten Greensill-Geldanlage vom 25.09.2020 hatte der Anlagevermittler seinen Haftungsausschluss deutlich dokumentiert:
    1) Die Angaben sind ausschließlich für professionelle Kunden bestimmt,
    2) sie stellen eine freibleibende, unverbindliche Übersicht dar,
    3) es handelt sich weder um eine Anlageberatung noch um eine Empfehlung bzw. vertragliche Verpflichtung,
    4) eventuelle Anlageentscheidungen sollten keinesfalls ausschließlich auf die Kapitalmarktinformation gestützt werden, da diese aus Quellen stammen, die sie (der Anlagevermittler) für zuverlässig hält.
    5) keine Haftung des Vermittlers, u.a. gilt dies auch für die Aktualität, Richtigkeit, Genauigkeit, Vollständigkeit, Geeignetheit und Angemessenheit für einen bestimmten Zweck der Geldanlage.
    Trotzdem wurde zum vierten Mal ungeprüft und ohne qualifizierte Beratung bei der Greensill Bank AG Geld angelegt, inklusive Unterschrift des Bürgemeisters.

    Herr Grüning hat weder das Datum dieser Geldanlage vom 25.09.2020 noch einen der fünf genannten Punkte in seinen schriftlichen Bericht aufgenommen, obwohl es ihm als Hinweis genannt und wortwörtlich vorgelesen wurde.

    Die parlamentarische Aufarbeitung war möglich und sie ist gelungen. Es war kein Durchwursteln, nur eine transparente Aufarbeitung war von Beginn an nicht gewollt. Die im Abschlussbericht von Herrn Grüning zitierten detaillierten Hinweise bilden nicht das Gesamtbild ab, u.a. weil sie einseitig ausgewählt wurden und weil die letzte Sitzung des Akteneinsichtsausschuss beendet wurde, bevor alle Hinweise vorgetragen werden konnten. Mehr Überparteilichkeit war mit diesem Akteneinsichtsausschuss nicht zu erwarten.

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