Die Stadt Schwalbach hat 19 Millionen Euro bei der inzwischen insolventen Greensill-Bank angelegt und mutmaßlich verloren. In einer Serie beleuchtet die Schwalbacher Zeitung, wie es zum größten finanziellen Verlust in der Geschichte der Stadt kommen konnte und wer die Verantwortlichen für das Desaster sind. Im zweiten Teil geht es um die verhängnisvolle Entscheidung, Festgelder bei Privatbanken anzulegen, obwohl ein Magistratsbeschluss genau das verboten hat.
Festgelder sind insgesamt sehr sichere Anlagen, die nur ein geringes Ausfallrisiko haben. Am sichersten sind solche Anlagen, wenn sie direkt bei der Bundesbank getätigt werden. Fast genauso sicher sind Festgelder für Städte und Gemeinden bei Sparkassen und Volksbanken. Denn diese haben ein eigenes Einlagensicherungssystem, das auch „professionelle“ Anleger wie eine Kommune vor Totalverlusten schützt. Etwas höher ist das Risiko bei Privatbanken. Anders als für Privatanleger gibt es für Städte bei diesen Banken seit 2017 keine Einlagensicherung mehr. Geht eine Bank Pleite – was sehr selten vorkommt – ist das Geld in aller Regel verloren.
Das etwas höhere Risiko drückt sich in den etwas höheren Zinsen aus, was gerade im Jahr 2020 eine besondere Rolle spielte. Denn sowohl bei der Bundesbank als auch bei den meisten Sparkassen und Volksbanken sanken die Zinssätze vor zwei Jahren unter null. Das heißt, Städte mussten dafür bezahlen, dass sie ihr Geld dort anlegen dürfen. Die Banken nennen das „Verwahrentgelt“. Die meisten sprechen von „Strafzinsen“. Minimale, positive Zinsen gab es in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 nur noch bei Privatbanken.
Durch diese Entwicklung drohte der Beschluss des Magistrates, Festgelder ausschließlich bei der Bundesbank, bei Sparkassen oder bei Volksbanken anzulegen, teuer zu werden. Bei einem Negativzins von 0,5 Prozent hätte die Stadt für ihre flüssigen Geldmittel in Höhe von rund 100 Millionen Euro jedes Jahr 500.000 Euro an Negativzinsen bezahlen müssen.
Schwierige Kommunikation
Die will auch Bürgermeisterin Christiane Augsburger Anfang 2020 vermeiden und ordnet an, dass die Arbeiten an einer Anlagerichtlinie weitergehen, die den Weg zu Geldanlagen bei Privatbanken ebnen soll. Am 4. März 2020 bekommt die Leiterin der Stadtkasse im Rahmen einer Zielvereinbarung den Auftrag, einen bereits bestehenden Entwurf zu überarbeiten. Bis zum Sommer soll sie den Entwurf der Revision des Main-Taunus-Kreises vorlegen und bis Ende November einen Beschluss für den Magistrat vorbereiten. Elf Tage später, am 15. März 2020, wird Alexander Immisch zum neuen Bürgermeister von Schwalbach gewählt, der sein Amt am 7. Juni antreten soll. Ebenfalls im März 2020 kommt der große Corona-Lockdown, der auch im Schwalbacher Rathaus dazu führte, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im „Homeoffice“ arbeiten und die Kommunikation innerhalb der Verwaltung schwieriger wird.
Mitten im Lockdown beginnt Alexander Immisch ab Mai 2020, sich auf sein neues Amt vorzubereiten. Das Rathaus ist zu dieser Zeit Pandemie-bedingt geschlossen, so dass persönliche Gespräche nur bedingt möglich sind. Alexander Immisch nimmt an den Online-Sitzungen des Magistrats und der Amtsleiter teil. Später schaut er sich im Rathaus um und spricht mit einigen Mitarbeitern persönlich. Ob die Leiterin der Stadtkasse dabei ist, ist nicht bekannt. Eine dezidierte 1:1-Einweisung bei Christiane Augsburger hingegen gibt es nicht. Bezüglich der Festgeldanlagen erinnert sie sich nicht daran, mit Alexander Immisch darüber gesprochen zu haben. Auch habe er nie danach gefragt.
Entgegen den üblichen Gepflogenheiten im Schwalbacher Rathaus überreicht der Leiter des Haupt- und Personalamtes die Allgemeinen Geschäftsanweisungen der Stadt Schwalbach nicht an den Bürgermeister und lässt sich nicht mit einer Unterschrift bestätigen, dass der neue Rathaus-Chef das Regelwerk gelesen hat. Alexander Immisch fragt auch diesbezüglich nicht nach und beginnt seine Arbeit, ohne die wesentlichen Regeln und Dienstanweisungen des Rathauses zu kennen, das er fortan leiten soll.
Der Amtswechsel
Ende Mai hat die Leiterin der Stadtkasse den Entwurf der neuen Anlagerichtlinie fertiggestellt. Wie vereinbart schickt sie ihn am 29. Mai an die Revision des Main-Taunus-Kreises mit der Bitte, dass die Experten aus Hofheim „einmal drüber schauen“ sollen, bevor die Verwaltung die Anlagerichtlinie von den Gremien beschließen lässt. Der Mitarbeiterin ist zu diesem Zeitpunkt also völlig klar, dass mindestens der Magistrat die Richtlinie genehmigen muss und sie das auf keinen Fall selbst tun kann.
Am Montag, 1. Juni und am Freitag, 5. Juni, tätigt die Leiterin der Stadtkasse dann die letzten Festgeldanlagen unter Bürgermeisterin Christiane Augsburger, die zumindest einen dieser Aufträge auch persönlich abzeichnet. 5 Millionen Euro gehen an die Hamburg Commercial Bank und weitere 5 Millionen an die österreichische Raiffeisen Bank International. Vor allem die Anlage bei der Hamburg Commercial Bank ist interessant. Die ist zu diesem Zeitpunkt zwar bereits eine Privatbank, ist als ehemalige Landesbank aber noch bis Ende 2021 im Einlagesicherungssystem der Sparkassen. Peinlich genau nach den Vorgaben des Magistratsbeschlusses wird die Anlage exakt bis zum 30. Dezember 2021 abgeschlossen.
Am Sonntag, 7. Juni 2020, wird Alexander Immisch neuer Bürgermeister von Schwalbach. Seinen ersten Arbeitstag im Rathaus hat er am Montag, 8. Juni. Was genau in den nächsten 48 Stunden in Bezug auf die Anlagestrategie der Stadt Schwalbach passiert, ist nicht dokumentiert. Im Kreise der Fraktionsvorsitzenden hat Alexander Immisch nach Bekanntwerden der Katastrophe einmal gesagt, er habe die Anweisung gegeben bei allen Banken anzulegen außer bei türkischen Banken.
Zur Entscheidung beigetragen hat auch eine E-Mail aus Hofheim. Am Dienstag, 9. Juni, antwortet die Revision des Kreises auf den Entwurf der neuen Anlagerichtlinie. Darin schreiben die Revisoren, dass sie die „Dienstanweisung zur Regelung der Anlage des kommunalen Vermögens der Stadt Schwalbach“ zur Kenntnis genommen haben. Mehr nicht. Fakt ist aber, dass die Leiterin der Stadtkasse ab Mittwoch, 10. Juni, das viele Schwalbacher Geld nicht mehr nach dem gültigen Magistratsbeschluss, sondern nach dem von ihr erstellten Entwurf der neuen Anlagerichtlinie anlegt, die Festgelder bei Privatbanken zulässt.
Sie selbst behauptet später gegenüber der Revision, das eigenmächtig selbst entschieden zu haben, nachdem sie die E-Mail aus Hofheim bekommen hat. Sie räumt damit ein, für den entscheidenden Fehler allein verantwortlich zu sein. Diese Darstellung ist allerdings mehr als zweifelhaft. Denn die Leiterin der Stadtkasse wusste noch zwei Wochen zuvor ganz genau, dass sie die Richtlinie nicht selbstständig in Kraft setzen kann. Außerdem war in der Mail der Revision von einem „Ok“ oder einer Genehmigung nirgendwo die Rede. Und schließlich ist die Kassenleiterin bis zum heutigen Tag für ihren angeblichen Fehler – der eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde – in keinster Weise dienstrechtlich zur Verantwortung gezogen worden.
Deutlich wahrscheinlicher ist, dass Alexander Immisch die E-Mail aus Hofheim am 9. Juni zum Anlass nimmt, die „Dienstanweisung“ sofort als interne Arbeitsvorschrift in Kraft zu setzen und den Magistrat erst später formal entscheiden zu lassen. Aus seiner Sicht ist damit auch ohne Stadtverordnetenbeschluss der Weg frei für Festgeldanlagen bei Privatbanken, mit denen sich „Strafzinsen“ vermeiden lassen.
Dass es einen anderslautenden Beschluss gibt, der genau solche Anlagen verbietet, weiß der Bürgermeister zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht. Denn die entsprechenden Dienstanweisungen und Beschlüsse hat er ja nicht gelesen. Die Leiterin der Stadtkasse kennt den Beschluss zwar, informierte ihren neuen Chef aber nicht darüber, weil sie davon ausgeht, dass sich der Bürgermeister bei Amtsantritt über alle maßgeblichen Beschlüsse ins Bild gesetzt hat. Später erhält sie für diese „Nicht-Information“ eine Abmahnung von Alexander Immisch.
Es ist Mittwoch, der 10. Juni 2020, 14.48 Uhr, als über einen Anlage-Vermittler das erste Festgeld bei der Greensill-Bank vereinbart wird. Alexander Immisch ist da noch keine drei Tage an seinem neuen Arbeitsplatz. Wer die Gespräche geführt hat und welchen Inhalt sie hatten, ist nicht bekannt. Denn ausgerechnet diese E-Mails sind im Rathaus ein Jahr später nicht mehr auffindbar. Schlimmer noch: Der Akteneinsichtsausschuss, der die fatalen Geldanlagen aufklären soll, und die Revision des Main-Taunus-Kreises bekommen im Sommer 2021 stattdessen eine E-Mail, die aus mehreren anderen E-Mails zusammenkopiert wurde. Die Revision erkennt den Schwindel und meldet ihn der Staatsanwaltschaft. Neben des Verdachts der Untreue steht seither auch noch der Verdacht der Belegmanipulation im Raum. Fortsetzung folgt. MS