27. März 2023

Emotionale Bürgerversammlung über den Umgang mit strittigen Straßennamen

Anwohner wollen keine Änderungen

Bei der Bürgerversammlung wurde die Ausstellung zu den strittigen Straßennamen im großen Saal des Bürgerhauses vorgestellt und erstmals gezeigt. Foto: mag

Auf großen Widerstand aus den betroffenen Straßen trifft die Idee der Schwalbacher Stadtverordneten, drei Straßennamen umzubenennen, weil die Namensgeber eine zweifelhafte Vergangenheit in der Nazi-Zeit hatten. Bei einer Bürgerversammlung am vergangenen Dienstag prallten die verschiedenen Ansichten aufeinander.

Betroffen sind der Hans-Bernhard-Reichow-Weg (Mittelweg), in dem niemand wohnt, der Rudolf-Dietz-Weg und die Julius-Brecht-Straße. Gerade aus Letzterer waren viele Bürgerinnen und Bürger gekommen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Sie argumentierten in erster Linie pragmatisch. Die Betroffenen befürchten Aufwand und Kosten, wenn sie ihre Dokumente vom Personalausweis bis zum Führerschein ändern müssen und bei allen möglichen Stellen vom Stromanbieter bis zum Finanzamt ihre neue Anschrift mitteilen müssen. Eine Anwohnerin sprach von einem „Umzug ohne Möbel“.

Als Vertreter der Betroffenen saß Dr. Wolfgang Küper auf dem Podium und sprach sich – nachdem er ein lustiges Rudolf-Dietz-Gedicht hatte vorgetragen lassen – vehement gegen die Umbenennung der Straßen aus. In vielen Städten würde über Straßennamen diskutiert, in den meisten Fällen würden die Straßen jedoch nicht umbenannt, sondern mit einem Zusatzschild ausgestattet, das auf die unrühmliche Vergangenheit der Namensgeber hinweist.

Ein Experte in diesem Bereich ist Christian Hahn vom „Büro für Erinnerungs-Kultur“ in Babenhausen, der ebenfalls auf dem Podium saß. Er erläuterte die verschiedenen Wege im Umgang mit kritischen Straßennamen, deutete dabei allerdings an, dass die Variante mit den Zusatzschildern eher unzureichend ist. Denn ein Straßenname sei eine große Ehre, die die Namensgeber auch verdient haben sollten.

Die Position des Ausschusses für Bildung, Kultur und Soziales, der sich mehrheitlich für neue Namen ausgesprochen hat, vertrat der ehemalige Europa-Abgeordnete und CDU-Stadtverordnete Thomas Mann. Er zeigte durchaus Verständnis für die Sorgen der Anwohner, machte aber klar: „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Menschen mit eindeutiger NS-Vergangenheit mit einem Straßennamen gewürdigt werden.“

Eine Entscheidung, wie die drei Straßen in Zukunft heißen sollen, ist noch nicht gefallen. Dazu wollten die Stadtverordneten zunächst bei der Bürgerversammlung mit den Schwalbacherinnen und Schwalbachern ins Gespräch kommen. Zur Entscheidungsbildung soll auch eine Ausstellung beitragen, die zurzeit im Hochfoyer des Rathauses zu sehen ist.

Die Ausstellung des Büros für Erinnerungskultur umfasst sechs große Tafeln. Unter den Titeln „Ehre wem Ehre gebührt?“ und „Streitsache Straßennamen“ wird das Thema, mit dem sich in den vergangenen Jahren bundesweit auch viele andere Städte und Gemeinden beschäftigt haben, dargestellt. Je eine Ausstellungstafel befasst sich mit den strittigen Namen Rudolf Dietz, Hans Bernhard Reichow und Julius Brecht. Den unstrittigen Schwalbacher Straßennamen widmet sich eine sechste Tafel.

Nach der Bürgerversammlung wird die Thematik nun im Ausschuss für Bildung, Kultur und Soziales sowie im Haupt- und Finanzausschuss diskutiert. Danach wird deren Empfehlung abschließend in der Stadtverordnetenversammlung entschieden. MS/red

 

3 Gedanken zu „Anwohner wollen keine Änderungen

  1. Zur Zeit wird in Deutschland soviel darüber gestritten, was man sagen soll und was nicht. Jetzt diskutieren wir auch in Schwalbach emotional über Straßennamen. Es geht den einen um die Vergangenheit und was daran falsch war, wie wir heute wissen und von der wir uns distanzieren möchten. Den anderen, v.a. den Anwohnern geht es um die Gewohnheit und die Kosten für eine mögliche Namensänderung. Warum bekommen wir das nicht zusammen, sondern reden uns die Köpfe heiß? Wird es nicht für beide besser, wenn aus der Julius-Brecht-Straße die Brecht-Straße wird? Dann kann man sich an den einen Dichter erinnern oder sich einen anderen bedeutenden und dichtenden Brecht mit einer weniger umstrittenen Vergangenheit ins Gedächtnis rufen. Der Brief mit dem Vornamen in der Adresse kommt immer noch an und auch die alten Visitenkarten lassen sich noch zu Ende verwenden. Bei Dietz geht das übrigens genauso. Einer der Dietze war sogar ein Gerechter unter den Völkern, der sein Leben riskierte für die Rettung jüdischer Mitmenschen in der Nazizeit. Um beim Reichow-Weg, da sagt doch eh ein jeder nur Mittelweg. Da könnte man auch diesen allseits bekannten Namen verwenden und ergänzend eine Tafel aufstellen, wo man das vielschichtige Leben und Wirken von Herrn Reichow beschreibt, seine schönen Werke würdigt und seine dunklen Seiten nicht verschweigt.

  2. Ich hätte einmal eine Frage an den Bürgermeister von Schwalbach: Wer trägt dann meine Kosten, die als Anwohner der Julius-Brecht-Straße durch die Umstellung des Straßennamens auf mich zu kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese wichtige Frage nicht längst geklärt ist. Also wem kann ich meine Rechnung schicken?

  3. Ich denke es gibt zur Zeit defintiv wichtigeres, als die Umbenennung der Straßennahmen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, sollten die entsprechenden Stellen auch die Kosten übernehmen. Es kann nicht sein, dass ein Anwohner der jeweiligen Straße für die Kosten aufkommen muss. Des weiteren stellt sich mir die Frage, wie denn die Straßen künftig heißen könnten? Getreu dem Motto „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“.

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